Samstag, 31. Januar 2009
Best of 2008
Platz 3: "Drei Schatten"
Text und Grafik: Cyril Pedrosa (dt. v. Annette von der Weppen);
Verlag: Reprodukt

[Zu Platz 4]

(© 2007 Guy Delcourt Productions and Cyril Pedrosa/
Dt. Ausgabe: © 2008 Reprodukt)


Frei von Sorgen lebt der kleine Joachim mit Vater und Mutter auf einem abgelegenen Bauernhof. Ein pastorales Idyll, bis eines Abends die Silhouetten dreier Reiter am Horizont erscheinen. In den folgenden Wochen nähern sich die Schatten immer wieder dem Hof, um blitzartig zu verschwinden, wenn Joachims Eltern auftauchen. Schnell ist klar, dass sie den Sohn rauben wollen. Als alle Versuche, die Bedrohung zu vertreiben, scheitern, beschließt der Vater, mit seinem Jungen zu fliehen, bis die Reiter die Verfolgung aufgeben.

So viel zum Inhalt. Wer nun ohnehin mit dem Gedanken spielt, "Drei Schatten" zu lesen, sollte die Lektüre dieser Rezension vielleicht an dieser Stelle abbrechen und den Comic von Cyril Pedrosa ganz unvorbelastet auf sich wirken lassen. Wer aber weiterliest, möge sich anschließend bitte nicht beschweren, ich hätte ihn nicht gewarnt – obwohl ich mich bemühen werde, so wenig wie möglich zu "verraten".

Pedrosas Graphic Novel "Drei Schatten" hat ihn in Frankreich fast über Nacht zum Star gemacht – mit etwas Hilfe von Übervater Lewis Trondheim, der ihn unter seine Fittiche und ins Programm seines Labels "Shampooing" (bei Delcourt) nahm.

Pedrosa hatte zuvor mehrere Albenszenarien von David Chauvel ("Ring Circus") als Zeichner umgesetzt und das Soloprojekt "Les coeurs solitaires" verwirklicht. Doch erst die "Drei Schatten" brachten sein Erzähltalent wirklich ans Licht: ein Fantasy-Roman, ganz ohne Fantasy-Klischees, dafür voll erwachsener Angst und Trauer.

Der reißende, mitunter auch mäandernde Erzählstrom von "Drei Schatten" speist sich im Wesentlichen aus zwei Quellen: Pedrosas Mitgefühl für Freunde, die ein Kind verloren hatten, und den Einwanderer-Wurzeln des Künstlers. Deshalb will Joachims Vater mit seinem Sohn nun ins Land des Großvaters flüchten (das er selbst nicht kennt), und deshalb spricht ein greises Ehepaar, dass die beiden auf ihrer Reise treffen, nun einen von Pedrosa erfundenen portugiesischen Dialekt.

"Drei Schatten" ist keineswegs perfekt: Viel zu viele Figuren begegnen Vater und Sohn auf deren Odyssee, und während die Ambivalenz einiger Charaktere fasziniert, bleiben einige – zumindest mir – rätselhaft.

Nichtdestotrotz ist "Drei Schatten" ganz klar der bisherige künstlerische Höhepunkt jener interessanten Comic-Richtung, die ich gern "Post-Disney" nenne: Seit einigen Jahren erweitern Künstler aus dem romanischen Sprachraum, oft ehemalige Animatoren, den ursprünglich auf Kinder ausgerichteten Stil der US-Mainstream-Trickfilme, um über erwachsene Themen wie Tod, Gewalt oder Religion zu sprechen. (Vielleicht auch eine Folge der Tatsache, dass Disney nach diversen gefloppten 2-D-Trickfilmen seine europäischen Ateliers dicht gemacht und mancher Zeichner plötzlich viel Zeit hatte?). Paradebeispiele für "Post-Disney" sind die maßlos überschätzte Krimiserie "Blacksad" und die sträflich unterschätzte Glaubenssatire "Sky Doll".

Pedrosas Background als Trickfilmer zeigt sich vor allem in der "Inszenierung". Er lässt seine Figuren meisterhaft durch Gesten und Haltung schauspielern, weshalb er in vielen Szenen auf Dialoge verzichten kann. Er betont Rhythmus und Timing und kreiert dabei sogar neue Techniken. So verbindet er oft minimale Bewegungen zwischen zwei Panels (die in anderen Comics meist statisch wirken) mit "Zooms", was den Sequenzen eine verblüffende filmische Dynamik verleiht.

Pedrosas Grafik passt sich ansonsten chamäleonartig der Atmosphäre seines Szenarios an: Eben noch reitet Joachims besorgte Mutter durch ein liebevoll gezeichnetes, fast dreidimensional anmutendes Städtchen, nun türmen Vater und Sohn schon in halbtrocken aufs Papier gehuschten Pinselstrichen durch einen Wald.

Vor seiner Comic-Karriere arbeitete Cyril Pedrosa u. a. an Disneys "Hercules" und "Der Glöckner von Nôtre Dame" mit. Zwar könnte manche Figur in "Drei Schatten" optisch einem dieser Filme entsprungen sein, jedoch ist Pedrosas Strich so quecksilbrig, dass er eher Disney in seinen Stil integriert als umgekehrt.

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