
Platz 2: "Insel Bourbon 1730"
Text: Appollo, Lewis Trondheim (Dt. v. Kai Wilksen);
Grafik: Lewis Trondheim;
Verlag: Reprodukt
[Zu Platz 3]

(© 2007 Appollo – Trondheim
Dt. Ausgabe: © 2008 Reprodukt)
Die Kunst des Comics besteht bekanntlich größtenteils im Weglassen. "Insel Bourbon 1730" von Appollo und Trondheim ist ein wahres Kunstwerk des Weglassen – aber nicht nur, weil es sich um einen Comic handelt.
Weniger ist wieder mal mehr, allerdings wirkt dieses Wenige bei flüchtiger Betrachtung opulent: Auf pralle 276 Seiten (ohne den lesenswerten Anmerkungsteil) bringt es diese Geschichte, die vor dem historischen Hintergrund der realen Ergreifung und Hinrichtung des französischen Piraten Oliver Levasseur alias "La Buse" auf der ehemaligen Kolonialinsel Bourbon (heute: La Réunion) spielt. Und anders als in "Donjon" oder "Herrn Hases haarsträubende Abenteuer" zeichnet Trondheim Natur und Gebäude realistisch genug, um sie historisch-geographisch zu verorten.
Wie gewohnt lässt er aber stilisierte anthropomorphe Tierfiguren agieren, deren Minenspiel kaum jenes altgriechischer Theatermasken überbietet. Farben jenseits von Schwarz und Weiß fehlen natürlich. Als wolle er noch eins draufzusetzen, gewährt Trondheim auch den afrikanischen Charakteren keinerlei Schattierung und belässt in einigen Panels sogar den Nachthimmel weiß, in dem dann asterisk-ähnliche schwarze Sternchen funkeln. Wie passend, schließlich besteht "Insel Bourbon 1730" aus fiktionalen Fußnoten zu realer Historie.
Held des von Trondheim und dem auf Réunion geborenen, historisch versierten Co-Autor Appollo verfassten Szenarios ist der schwarzbeschopfte Enterich Raphael Pommery. Eigentlich soll er dem Chevalier Despentes von der "Akademie der Wissenschaften" in Paris bei der Suche nach dem – zu Recht – ausgestorben geglaubten Vogel Dodo (auch bekannt als Dronte) helfen. Doch weil er sich bereits auf der Anreise unrettbar im Seemannsgarn verfängt, will er sich, kaum auf der Insel angekommen, lieber den lokalen Piraten anschließen. Daraus wird nichts.
Und damit wäre die Geschichte von "Insel Bourbon 1730" auch schon erzählt. Mehr oder weniger. Wichtiger als das, was passiert, ist jedoch, was in "Insel Bourbon 1730" nicht passiert.
Das Grundkonzept ist zunächst einmal ein genialer ironischer Gag: Eine anthropomorphe Ente sucht nach einer ausgestorbenen Vogelart, kurz vor der Hinrichtung des Seeräubers La Buse, der seinerseits einen Vogelnamen trägt (La Buse = der Bussard) und als letzter großer Pirat des indischen Ozeans selbst einer aussterbenden Art angehört.
Abenteuer als Meta-Abenteuer – das erinnert natürlich an Hugo Pratt. In dessen poetisch-spröden Geschichten um Corto Maltese, "Kapitän ohne Schiff", halten sich Reflektion und Aktion aber letztlich meist die Waage, stößt der Held nach allerlei Diskussionen und Fährnissen auf des Rätsels Lösung.
"Insel Bourbon 1730" allerdings ist ein Abenteuer-Comic ohne Abenteuer: Alle Figuren suchen fortwährend danach, müssen sich aber mit Erinnerungen, Träumen und Geschichten trösten. Es ist ein Piraten-Comic ohne Piraten: die ehemaligen Korsaren sind jetzt entweder biedere Siedler (dank einer Amnestie), traurige Säufer oder im besten Fall Anführer entflohener Sklaven.
Ein echter Seeräuber immerhin ist noch da, der realhistorische La Buse, doch der sitzt im Gefängnis und wird kein einziges Mal gezeigt. Seine berühmte letzte Tat zitieren Appollo und Trondheim erst im Epilog: Auf dem Schafott warf der Pirat angeblich einen Zettel mit einer chiffrierten Nachricht in die Menge und schrie: "Mon trésor à qui saura comprendre!" – "Meinen Schatz jenem, der's versteht!"
Bis heute wurde sein Schatz nicht gehoben. Vielleicht, das deutet Protagonist Raphael im Comic an, gibt es ihn gar nicht. Vielleicht ist er eine Leerstelle, so wie La Buse selbst es bei Appollo und Trondheim bleibt. Um dieses schwarz-weiße Loch kreist die Geschichte.
Statt Geschichte zu machen, machen die Charaktere von "Insel Bourbon 1730" nur Geschichten – in jeder erdenklichen Hinsicht. Am Ende begreift Raphael das. Statt fasziniert alten Seebären zu lauschen, versteht er es nun, selbst prachtvolle Korsaren-Anekdoten aufzutischen.
Platz 3: "Drei Schatten"
Text und Grafik: Cyril Pedrosa (dt. v. Annette von der Weppen);
Verlag: Reprodukt
[Zu Platz 4]

(© 2007 Guy Delcourt Productions and Cyril Pedrosa/
Dt. Ausgabe: © 2008 Reprodukt)
Frei von Sorgen lebt der kleine Joachim mit Vater und Mutter auf einem abgelegenen Bauernhof. Ein pastorales Idyll, bis eines Abends die Silhouetten dreier Reiter am Horizont erscheinen. In den folgenden Wochen nähern sich die Schatten immer wieder dem Hof, um blitzartig zu verschwinden, wenn Joachims Eltern auftauchen. Schnell ist klar, dass sie den Sohn rauben wollen. Als alle Versuche, die Bedrohung zu vertreiben, scheitern, beschließt der Vater, mit seinem Jungen zu fliehen, bis die Reiter die Verfolgung aufgeben.
So viel zum Inhalt. Wer nun ohnehin mit dem Gedanken spielt, "Drei Schatten" zu lesen, sollte die Lektüre dieser Rezension vielleicht an dieser Stelle abbrechen und den Comic von Cyril Pedrosa ganz unvorbelastet auf sich wirken lassen. Wer aber weiterliest, möge sich anschließend bitte nicht beschweren, ich hätte ihn nicht gewarnt – obwohl ich mich bemühen werde, so wenig wie möglich zu "verraten".
Pedrosas Graphic Novel "Drei Schatten" hat ihn in Frankreich fast über Nacht zum Star gemacht – mit etwas Hilfe von Übervater Lewis Trondheim, der ihn unter seine Fittiche und ins Programm seines Labels "Shampooing" (bei Delcourt) nahm.
Pedrosa hatte zuvor mehrere Albenszenarien von David Chauvel ("Ring Circus") als Zeichner umgesetzt und das Soloprojekt "Les coeurs solitaires" verwirklicht. Doch erst die "Drei Schatten" brachten sein Erzähltalent wirklich ans Licht: ein Fantasy-Roman, ganz ohne Fantasy-Klischees, dafür voll erwachsener Angst und Trauer.
Der reißende, mitunter auch mäandernde Erzählstrom von "Drei Schatten" speist sich im Wesentlichen aus zwei Quellen: Pedrosas Mitgefühl für Freunde, die ein Kind verloren hatten, und den Einwanderer-Wurzeln des Künstlers. Deshalb will Joachims Vater mit seinem Sohn nun ins Land des Großvaters flüchten (das er selbst nicht kennt), und deshalb spricht ein greises Ehepaar, dass die beiden auf ihrer Reise treffen, nun einen von Pedrosa erfundenen portugiesischen Dialekt.
"Drei Schatten" ist keineswegs perfekt: Viel zu viele Figuren begegnen Vater und Sohn auf deren Odyssee, und während die Ambivalenz einiger Charaktere fasziniert, bleiben einige – zumindest mir – rätselhaft.
Nichtdestotrotz ist "Drei Schatten" ganz klar der bisherige künstlerische Höhepunkt jener interessanten Comic-Richtung, die ich gern "Post-Disney" nenne: Seit einigen Jahren erweitern Künstler aus dem romanischen Sprachraum, oft ehemalige Animatoren, den ursprünglich auf Kinder ausgerichteten Stil der US-Mainstream-Trickfilme, um über erwachsene Themen wie Tod, Gewalt oder Religion zu sprechen. (Vielleicht auch eine Folge der Tatsache, dass Disney nach diversen gefloppten 2-D-Trickfilmen seine europäischen Ateliers dicht gemacht und mancher Zeichner plötzlich viel Zeit hatte?). Paradebeispiele für "Post-Disney" sind die maßlos überschätzte Krimiserie "Blacksad" und die sträflich unterschätzte Glaubenssatire "Sky Doll".
Pedrosas Background als Trickfilmer zeigt sich vor allem in der "Inszenierung". Er lässt seine Figuren meisterhaft durch Gesten und Haltung schauspielern, weshalb er in vielen Szenen auf Dialoge verzichten kann. Er betont Rhythmus und Timing und kreiert dabei sogar neue Techniken. So verbindet er oft minimale Bewegungen zwischen zwei Panels (die in anderen Comics meist statisch wirken) mit "Zooms", was den Sequenzen eine verblüffende filmische Dynamik verleiht.
Pedrosas Grafik passt sich ansonsten chamäleonartig der Atmosphäre seines Szenarios an: Eben noch reitet Joachims besorgte Mutter durch ein liebevoll gezeichnetes, fast dreidimensional anmutendes Städtchen, nun türmen Vater und Sohn schon in halbtrocken aufs Papier gehuschten Pinselstrichen durch einen Wald.
Vor seiner Comic-Karriere arbeitete Cyril Pedrosa u. a. an Disneys "Hercules" und "Der Glöckner von Nôtre Dame" mit. Zwar könnte manche Figur in "Drei Schatten" optisch einem dieser Filme entsprungen sein, jedoch ist Pedrosas Strich so quecksilbrig, dass er eher Disney in seinen Stil integriert als umgekehrt.
Platz 4: "Will Eisner's The Spirit [Bd. 1]"
Text: Darwyn Cooke (dt. v. Gerlinde Althoff)
Grafik: Darwyn Cooke (pencils), J. Bone (inks), Dave Stewart (Farben)
Verlag: Panini
[Zu Platz 5]

(© 2007 DC Comics and Will Eisner Studios Inc./
Dt. Ausgabe: © 2008 Panini Comics GmbH)
Halleluja: Endlich erweckt ein Comic-Maestro Will Eisners 1940 erdachten Gangsterjäger und Frauenschwarm "The Spirit" zu neuem Leben und drückt ihm dabei seinen eigenen Stempel auf – statt nur eine weitere müde "Hommage" abzuliefern!
Sacht modernisiert, bekämpft Denny Colt alias "The Spirit" nun das Böse im 21. Jahrhundert. Dabei besitzen die neuen Storys alle Vorzüge der alten: coole Eleganz, smarten Witz und die unbändige Lust an narrativen Spielereien.
Ich spreche natürlich nicht von Frank Millers lächerlicher Kino-Adaption, die nächste Woche auch bei uns anläuft (und die ich vor einigen Wochen bei einer Preview durchleiden durfte).
Nein, die Rede ist von Darwyn Cookes im Februar 2007 gestarteter Serie "Will Eisner's The Spirit", die seit 2008 auch bei uns erscheint.
Einen Monat vor Cookes erstem regulärem "Spirit"-Heft erschien bereits das Crossover "Batman/The Spirit", an dem Cooke nur als Zeichner mitwirkte. Das Einzelheft gewann zwar einen Eisner Award, hat allerdings mit Cookes eigenen "Spirit"-Storys weder Finesse noch Charakterisierungen gemein.1
Der virtuose Nostalgiker Cooke, eine Art Wynton Marsalis der Comics, feiert in seinem "Spirit" die Tradition, modernisiert aber, wo es not tut: Aus Eisners "nicht böse gemeintem" Mohrenknaben Ebony ist ein lässiger schwarzer Teenie geworden, aus Colts naiver Flamme Ellen Dolan eine etwas spröde Internetfachfrau. Ansonsten ist es in Central City immer noch fünf nach noir.
Eisners legendäre Femmes fatales und Powerfrauen sind bei Cooke ("The New Frontier", "Catwoman: Selina's Big Score") in guten Händen: Sein aus Warner-Trickfilm-Optik und klassischer Pinup-Malerei gemixter Zeichenstil ist – jedenfalls für mich – unwiderstehlich, auch dank der schwungvollen inks von J. Bone.
Zudem sehen Cookes Ladies nicht nur klasse aus, sie haben auch Klasse. Etwa die Geheimdienst-Amazone Silk Satin, die sich über Comissioner Dolan und den blau gewandeten "Spirit" mokiert: "Bitte. Wir sind die CIA. Nicht ein paar Dorfbullen und ein Gainsborough." Und die wegen Dolans Nachfrage ("Gainsborough?") noch einen draufsetzt: "Der Blaue da. Googeln Sie mal."
Anders als Will Eisner in den 40ern läutet Cooke hier natürlich keine Revolution des sequenziellen Erzählens ein. Aber warum das Rad neu erfinden, wenn man damit so rasant zu fahren versteht und sogar atemberaubende Überschläge meistert? Ich will hier gar nicht erst von Cookes umwerfenden Noir-Schatten und -Blickwinkeln, seinem Einsatz von Sequenzpanels, Manga-Dynamik, subjektiver Perspektive und vor allem seinem stets präzisen Timing anfangen, sonst sitzen wir zwei Hübschen noch morgen hier.
Nach Heft 12 stieg Captain Cooke aus, danach kam die Serie leider vom Kurs ab. Die beiden unter des Meisters Ägide entstandenen Sammelbände erschienen letztes Jahr auch auf Deutsch, wobei Gerlinde Althoffs Übersetzung den Wortwitz des Originals recht gut einfängt. Band 1 ist der wahre Jonas, nämlich purer Cooke, im zweiten mischen schon zu viele Gastköche mit.
1) Bei uns erschien die Story als Einzelheft. In der US-Paperback-Ausgabe von Cookes "Spirit" findet man sie als Bonus in Band 1.
[Zu Platz 6]

(© 2008 Carlsen Verlag GmbH)
Beim Durchblättern sieht erst einmal alles sensationell aus: 244 Seiten voll detailreicher Bleistiftzeichnungen, in denen das Tokio des Jahres 1941 wiederaufersteht, wimmelnde Panoramapanels und einige schöne Montagen – großes Kino auf Papier! Beginnt man dann aber zu lesen, bemerkt man die Probleme: Gesichter wirken maskenhaft, Gesten steif. Und dann diese gezeichneten Zeitzeugen, die sich zwischendurch in "Interview"-Bröckchen zu Wort melden – vade retro, Guido Knopp!
Und dann liest man "Die Sache mit Sorge" zu Ende und stellt überrascht fest, dass einige dieser Schwächen Stärken sind und dass Isabel Kreitz wohl der beste deutsche Comic 2008 gelungen ist.
Anders als der Untertitel "Stalins Spion in Tokio" vermuten lässt, konzentriert sich Kreitz nämlich keineswegs auf den Journalisten Richard Sorge, der Moskau 1941 vor Hitlers geplantem Überfall auf die UdSSR warnte, auf Unglauben stieß und nach seiner Enttarnung von den Russen fallen gelassen und von den Japanern hingerichtet wurde. Nein, die Thomas-Mann-Verehrerin Kreitz (ihr "Buddenbrooks"-Comic scheiterte bislang am Dünkel des Vorlagenverlages) erforscht die Luxus-Enklave der deutschen Botschaft in Tokio und zeichnet sie als eine Art Nazi-"Zauberberg". Dessen hell- bis dunkelbraune Herren befassen sich – fern von Berlin – lieber mit Klatsch und Konzerten als mit Krieg und Politik. Als Spötter und Spion irrlichtert Richard Sorge am Rande dieser Welt herum. Seiner Romanze mit der zur Botschafts-Menagerie gehörigen Musikerin Eta Harich-Schneider räumt Kreitz dabei ebenso viel Raum ein wie seiner Agententätigkeit.
Kreitz' Hirohito-Tokio und all seine Bewohner wirken auf den ersten Blick fast fotorealistisch, stecken aber voll fiebrig flirrender Schraffuren – so wie Historie großenteils aus trügerischen Erinnerungen besteht. Ebenso fügt sich aus den Schilderungen der Zeitzeugen bis zuletzt kein klares Bild des Reporters, Idealisten, Säufers und Schürzenjägers Richard Sorge zusammen: Jeder Beteiligte erzählt nur seine Geschichte.
In Szenario wie Grafik zwingt Kreitz den Leser zur Distanz. So gelingt ihr nicht nur ein subtiles Zeit- und Milieuporträt, sondern auch ein intelligenter Gegenentwurf zum History-Infotainment Knopp'scher Prägung.
[Zu Platz 7]

(© 2008 Jeff Smith)
"Suggested for mature readers": Weil ihm beim Anblick unbedarfter US-Eltern, die ihren Kindern ein "RASL"-Heft kauften, zu Recht mulmig wurde, lässt "Bone"-Schöpfer Jeff Smith seine neue Serie seit Ausgabe 2 mit dem Hinweis versehen, dieser Comic sei nichts für die Kleinen.
Offen gesagt: Als auf 13 Jahre "Bone" 2007 erst einmal die unfassbar trantütige Golden-Age-Superhelden-Hommage "Shazam! – The Monster Society of Evil" folgte, dachte ich schon, Smith sei für alle Zeiten ausgebrannt.
Weit gefehlt! Bereits Heft 1 der im März 2008 gestarteten Serie über den zwischen Parallelwelten hin- und her springenden Kunstdieb RASL deutete an, dass der bisherige Konsens-Comic-Star Smith durchaus bereit ist, biedere Fans zu vergrätzen. Endgültig klar wird dies in Heft 3: eine Actionszene, bei der die Gegner einander buchstäblich den Rotz herausprügeln, ein unerwarteter Zungenkuss und einige der abgründigsten erotischen Verwicklungen seit Hitchcocks "Vertigo" – Kinderchen, spielt das bitte nicht zu Hause nach!
Smith' Indie-Freund Terry Moore ("Strangers in Paradise") brachte 2008 mit "Echo" selbst eine lesenswerte Sci-Fi-Serie heraus. "Echo" scheint "RASL" auf den ersten Blick dramaturgisch wie grafisch überlegen, ist aber auch wesentlich glatter und vorhersehbarer als Smith' neues Baby. Bei "RASL" ahnt bislang wohl allein der Autor, wohin die Reise geht. Science-Fiction, Thriller oder Lovestory? Bislang ist "RASL" vor allem ein Abenteuer.
Pardon, aber der buchstäblich beschissene Neujahrsgruß aus André Franquins genialer Serie "Gaston" erscheint mir perfekt, um das neue Jahr einzuläuten. Ja, ich weiß, 2009 ist schon wieder fast vorbei, aber mal ehrlich: Wünschen wir uns nicht alle, es wär' so? Nuff said.
Speziell comic-technisch habe ich einen schlechten Start ins Jahr erwischt und zwar bereits im Herbst 2008: Als ich vor gut vier Monaten versuchte, noch ein Zimmer in Angoulême zu ergattern, um endlich, endlich einmal das wohl renommierteste aller Comic-Festivals (29.1.–1.2.) zu besuchen, da war natürlich längst alles ausgebucht. Dieses Jahr reserviere ich meine Badewanne schon im Februar.
Obwohl ich nicht behaupten kann, 2008 wahnsinnig viele Comics gelesen zu haben, geschweige den alle "wichtigen", reicht es doch für ein kleines "Best of 2008": sieben Neuerscheinungen, die mir im Gedächtnis geblieben sind und am Herzen liegen.
Man möge das Ganze bitte eher als Geheimtippliste betrachten denn als Auswahl für die Ewigkeit. Kenner der Materie werden in dieser Top-Seven nämlich gefeierte Werke wie "Blutspuren" oder "Lost Girls" vermissen. Nun, zumindest diese zwei fehlen hier einfach, weil ich 2008 nicht dazu gekommen bin, sie zu lesen.
Und gleich noch mehr mea culpa: Weil ich so verdammt schreibfaul bin, veröffentliche ich meine glorreichen Sieben hier häppchenweise, okay?
Beginnen wir also mit:
Platz 7: "Molch"
Text: Nicolas Mahler; Grafik: Heinz Wolf; Verlag: Luftschacht

(© 2008 Mahler/Wolf/Luftschacht)
Eine Serienkillerstory soll "Molch" sein, behaupten sowohl diverse Rezensenten als auch der kleine Wiener Literaturverlag Luftschacht, aus dessen Programm diese lakonische, aber süffig-filmische Krimigroteske stammt. Dabei ist die Mordserie doch eher Katalysator denn Kern der Geschichte.
Grüß Gott, Tristesse: In schmiergrauen Panels lassen Ösi-Comic-Star Nicolas Mahler (Text) und sein Gallerie-Kompagnon Heinz Wolf (Zeichnungen) ihren überforderten Helden durch die Moritat schliddern: einen Wiener Gebrauchtwagenhändler, geschieden, wortkarg und bis zuletzt namenlos. Ausgerechnet er, den die Langeweile umzubringen droht, gerät ins Visier des dubiosen Kommissars Jaworek ("Wissen Sie, nach Dienstschluss bin ich eher an Frauen interessiert"). Jaworek jagt einen Serienkiller, der mit dem Blut seiner Opfer das Wort "Molch" an die Wände schmiert. Und unser Autohändler gilt als Verdächtiger – oder vielleicht wär' er das nur gern?
Ein Barbierbesuch endet mit einem exakt halb abrasierten Bart, im Doppelbett des Protagonisten liegt die eine Seite brach, und am Ende der Story hofft man auf eine erklärende zweite Hälfte, die es freilich nicht gibt. Selten wirkte ein Comic zugleich so halb fertig und doch so zu Ende gedacht wie "Molch".