
Hach, all diese Weihnachtsfeiern, auf denen man mit geistreichen Bonmots glänzen kann!
All diese diffizil auszuwählenden Geschenke, die man für liebe Menschen kaufen darf!
All diese Mistelzweige, unter denen man feengleiche Schönheiten knutschen muss!
So oder – äh – so ähnlich sahen sie – vielleicht – aus, die Gründe, derentwegen ich dieses Blog während der letzten Wochen vernachlässigt habe.
Aber verzage nicht, geliebte Blogosphäre, je suis de retour!
Bevor ich mich allerdings wieder ins Rezensieren stürze, hier erst einmal etwas Kürzeres zum Aufwärmen.
Meine guten Comic-Vorsätze für 2008
- Endlich das Szenario schreiben, dass ich einem Zeichnerkumpel vor gefühlten hundert Jahren versprochen habe
- Kürzer und dafür öfter bloggen.
- "From Hell" lesen (Stöhn. Oder vielleicht doch erst mal "Moby Dick"?)
- Keine Comic-Hefte mehr kaufen, bloß weil sie Pin-up-Cover von Joe Chiodo haben (auch wenn ich Chiodos Inspirationen gern mal unter dem Mistelzweig begegnen würde)
- Keine Comic-Hefte mehr kaufen, bloß weil der Titel cool klingt (oder klingt "Perhapanauts" etwa so lahm, wie die Serie ist? Hm? Oh, kommt schon, Leute, das klingt doch cool: "Per-hap-a-nauts". Oder? Oder??)
- Endlich richtig Französisch lernen (damit ich bandes dessinées auch mal ohne Wörterbuch lesen kann)
- Nach zwölf Jahren wieder anfangen, "Cerebus" zu lesen (oder doch erst mal "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit"?)
- Mal wieder selbst zeichnen (obwohl andere das so viel besser können)
- Meinen guten lokalen Comic-Dealer unterstützen (statt so viel im Internet zu ordern)
- Öfter auf Comic-Ausstellungen gehen (obwohl ich nach wie vor finde: Comics liest man in der Hand, nicht an der Wand).
Zur Fantasy-Miniserie "Fafhrd und der Graue Mausling"

Fritz Leibers Fantasy-Gauner "Fafhrd und der Graue Mausling"
behalten selbst im Rausch den Durchblick
(auch in der Comic-Version von Chaykin und Mignola)
(© Fritz Leiber & The Estate of Fritz Leiber;
dt. Ausg.: Amigo Grafik/Cross Cult)
Nein, Szenen wie diese liest man wirklich nicht alle Tage:
Nachdem sie einen fahrenden Händler um Börse und Zugpferde erleichtert haben, preschen die beiden besten Diebe des Planeten Nehwon auf den gestohlenen Gäulen davon. Hinter ihnen reckt der Händler hilflos die Fäuste und brüllt:
"Diebe! Kommt zurück!"
Woraufhin der Graue Mausling (klein, schwarzgelockt) seinem neben ihm reitenden Komplizen Fafhrd (hünenhaft, rotbärtig) fröhlich zuruft:
"Was für ein absurder Vorschlag! Ob sie das jemals begreifen?"
Nanu, sarkastische Sprachkritik in einem Fantasy-Comic?
Ich gebe zu: Ich habe nicht nur gelacht, sondern auch gestaunt. Die Szene findet sich in der zweiten von sieben Kurzgeschichten, die zusammen die Miniserie "Fafhrd und der Graue Mausling" bilden. Und sie ist durchaus typisch für diesen Comic, der ursprünglich von 1990 bis '91 in vier Heften bei Marvel erschien, aber erst im März 2007 endlich als US-Sammelband bei Dark Horse neu aufgelegt wurde. Im September hat Cross Cult dieses kleine Juwel nun als schmuckes Hardcover auf Deutsch herausgebracht.
Tja, mea culpa: Vor einigen Wochen habe ich hier in einem Porträt der glänzenden Serie "Donjon" noch geklagt, das Genre der Fantasy-Comics habe ansonsten ja herzlich wenige intellektuelle Gemmen hervorgebracht. Das sehe ich zwar nach wie vor so, allerdings wünschte ich, ich hätte neben "Donjon" auch prompt "Fafhrd und der Graue Mausling" als Ausnahme gelobt. Nur hatte ich das Werk des Traumtrios Chaykin, Mignola und Williamson leider nicht auf dem Zettel.
Was um so peinlicher ist, als ich auch den Autor der literarischen Vorlage schätze: Fritz Leiber (1910–1992) studierte Philosophie, Psychologie und Biologie, war eine Zeit lang Schauspieler und Schauspiellehrer, eine kürzere Zeit lang Laienprediger, die längste Zeit über aber Autor phantastischer Literatur.
Leiber (sprich: "Lieber") sah sich als Schüler des Horrorpapstes H. P. Lovecraft und Epigone von "Conan"-Schöpfer Robert E. Howard und hätte wohl nie zugegeben, dass er als Stilist beiden klar überlegen war. Der Mann aus Chicago gewann so ziemlich alle Preise der Sci-Fi-, Horror- und Fantasy-Literatur, blieb aber – besonders hierzulande – dem Mainstream-Publikum merkwürdig unbekannt.
Ich selbst habe Leiber auch erst vor wenigen Jahren durch seine brillante Horror-Story "Smoke Ghost" kennen gelernt, die um 1940 entstand, mit ihren abgefeimten Psychospielchen aber noch heute modern wirkt. Seine größten Erfolge feierte er allerdings mit den Fantasy-Geschichten um "Fafhrd and the Grey Mouser", deren erste er 1939 publizierte, die letzte knapp 50 Jahre später. Leiber erfand die Figuren gemeinsam mit seinem Freund Harry Otto Fischer, schrieb aber fast sämliche Geschichten allein.
Leibers Helden, der Ex-Pirat Fafhrd (was offenbar so ähnlich wie "Faferd" ausgesprochen wird) und der gescheiterte Zauberlehrling Mausling, plünderten die geheimnisvolle Welt von Nehwon aus, bestellten aber gleichzeitig ein Feld, von dem die Fantasy bis heute zehrt: Leibers wimmelnde, dekadente Metropole Lankhmar darf wohl als Keimzelle aller wimmelnden, dekadenten Fantasy-Metropolen gelten und beeinflusste nicht zuletzt die Rollenspiel-Szene.
Anders als die meisten Fantasy-Autoren vor und nach ihm nahm Leiber seinen Kosmos nie zu ernst, sondern nutzte ihn als satirischen Zauberspiegel für die Realität. Terry Pratchett, der erfolgreichste aller Fantasy-Ironiker, zollte dem Meister denn auch schon im ersten seiner "Scheibenwelt"-Bestseller Tribut und parodierte Fafhrd und den Mausling als "Bravd und Schleicher" (im witzigeren Original: "Bravd and the Weasel").
Zwar herrscht auf dem Planeten Nehwon kein Mangel an Wundern, doch erstaunlich oft drehen sich die Geschichten Fritz Leibers um Schein und Wirklichkeit: In "Basar des Bizarren" verbirgt sich hinter dem Angriff der "Verschlinger" offenkundig eine Satire auf Werbung und Propaganda. In "Schwere Zeiten in Lankhmar" zerstreiten sich der Mausling und sein Freund allen Ernstes über die korrekte Schreibweise von Fafhrds Namen und finden dann durch ein vom Mausling clever – und rasend komisch – arrangiertes religiöses "Wunder" wieder zueinander.
Nun ist es sicher nicht der Name "Fritz Leiber", der dem Cross-Cult-Band die meisten Käufer bescheren wird, sondern der Name "Mike Mignola". Wer den Comic allerdings nur als Gesellenstück des späteren "Hellboy"-Schöpfers liest, bringt sich um viel mehr als nur den halben Spaß. Denn erstens ist hier eine meisterhafte Adaption zu genießen und zweitens ein Musterbeispiel für gutes Teamwork, bei dem Comic-Kreative sich elegant die Bälle zuspielen. [...]
Zur Anthologie "Wilhelm Busch und die Folgen

Der junge Felix vergnügt sich mit seiner "frommen Helene".
Aus "Wilhelm Busch und die Folgen" (Beitrag von Flix)
(© 2007 Egmont Verlagsgesellschaften mbH/JNK Media)
Hommage-Comics sind für gewöhnlich ein durchwachsenes Vergnügen: Im schlimmsten Fall "ehren" talentfreie "Künstler" einen Meister mit platten Parodien oder dümmlicher Anbiederung.
Im besten Fall hinterfragen clevere Zeichner und Texter, wie dieser Meister von Medien und Marketing dargestellt wird und suchen einen persönlichen Zugang.
Die schönste und ehrlichste Hommage, die ich kenne, findet sich im Parodie-Band "Baston" (Alpha Comic): Um eine Ehrbezeigung für Altmeister André Franquin gebeten, lässt Jean-Marc Reiser seine eigene Lieblingsfigur Gros Dégueulasse (dt. "Der Schweinepriester") mit Fluppe, Säufernase und versiffter Unterhose durchs Bild torkeln. "Gaston oder so", lallt der Trinker, "also echt, Leute... Hab ich kein Bock drauf. Mach lieber mein' eigenen Kram." Besser kann man die Einzigartigkeit von Franquins anarchischem Verlagsboten "Gaston" wohl kaum würdigen.
Martin Jurgeits im September 2007 veröffentlichte Hommage- Anthologie "Wilhelm Busch und die Folgen" (Egmont/Ehapa) erscheint mir gerade deshalb so gelungen, weil darin letztlich alle Künstler ihren "eigenen Kram" machen. Dabei sind nur die wenigsten Beiträge des Bandes wirklich brillant. Andererseits ist auch kein langweiliger darunter. Und vor allem: Keiner ist wie der andere.
Außerdem kann ich mich an keine Anthologie erinnern, die je zuvor so viele wichtige Namen der deutschen Comic-Szene unter einem Titel versammelt hätte. Natürlich kommt Jurgeit der erfreuliche Umstand zu Hilfe, dass es erstmals eine sowohl quantitativ als auch qualitativ nennenswerte deutsche Comic-Szene überhaupt gibt. Im Buch tummeln sich mehrere Generationen: vom Ex-Underground- Zeichner Volker Reiche (* 1944) bis zur Mangaka Anike Hage (*1985).

Multimedia-Offensive der Mudschaheddin:
Kann Schüler Murat widerstehen?
Aus: "Andi 2"
(© CODEX/Innenministerium Nordrhein-Westfalen)
Unter dem Titel "Sprechblasen für Schläfer" schimpfte Wolf Schmidt in der gestrigen "taz" (5. 11. 2007, Seite 14) über einen vom nordrhein-westfälischen Innenministerium herausgegebenen Comic – eine Kritik, die der "taz" immerhin einen Hinweis auf der Titelseite wert war. Schwer angefixt, entdeckte ich das ominöse Bildwerk, Google sei dank, wenig später als PDF-Datei im Netz.
Tja, worum geht’s? Im zweiten Heft der Reihe "Andi" gerät der muslimische Schüler Murat an Islamisten, die ihn mit Mudschaheddin-CDs (siehe Abbildung) zum Gotteskrieger umerziehen wollen. Derweil verzehrt sich der blonde Andi, Titelfigur und Murats bester Freund, nach Murats schöner manga-äugiger und kopftuchtragender Schwester Ayshe. Derentwegen kommt es letztlich zu Handgreiflichkeiten (ahhh, les femmes!). Auf die folgt dann freilich ein Happy-End mit Gemütlichkeit und Speiseeis.
Nun, sicher ist das von Peter Schaaff im Graffiti-Stil gezeichnete "Andi"-Heftchen kein Meisterwerk der politischen Sachliteratur, geschweige denn der "neunten Kunst". Manches ist zu simpel dargestellt, die Auflösung bietet Sozialkitsch pur. Und dann dieses salbungsvolle Sprechblasenvorwort des als Comic-Figur auftretenden FDP-Innenministers Ingo Wolf – nun ja.
Einen "platten Comic" mit "anbiedernden Ratschlägen" kann ich darin, anders als Wolf Schmidt, dann allerdings auch wieder nicht erkennen. Die Figuren haben durchaus Persönlichkeit und Witz, die Dialoge meiden pseudo-jugendliche Manierismen. Digga, ich schwör'!
Gut, als muslimischer Teenager wäre ich bei der Lektüre vermutlich zunächst einmal nur genervt. Die Identifikationsfigur Murat verhält sich schließlich nach Meinung der Autoren offenkundig falsch – wer lässt sich schon gern belehren?
Andererseits: Als Reaktion auf etwaige Ängste und Vorurteile nicht-muslimischer Jugendlicher ist der Comic durchaus gelungen. Der Unterschied zwischen Muslimen und Islamisten wird in der Geschichte immer wieder betont und erläutert, der Unterschied zwischen Islamisten und gewaltbereiten Islamisten (einer Minderheit innerhalb der Minderheit) im Textanhang erklärt.
Man möge mich meinethalben für einen Simpel halten, aber weshalb "Christian Pfeiffer, Leiter des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen" das NRW-Heftchen laut "taz" als "sehr schwarz-weiß-malerisch" verurteilt, verstehe ich nicht so ganz.
Zumindest als pädagogisches Kuriosum ist das Ding durchaus lesenswert. Auch das erste Heft der Reihe ist auf der "Andi"-Website noch zu finden: Darin legen sich Andi & Co. mit dem Neonazi "Eisenheinrich" an. Und der Sprechblasenminister ist auch wieder dabei.
"The Boys [Bd. 1]: Spielverderber" von Garth Ennis

Superheld A-Train hat sich verlaufen.
Na, warte, wenn dich die Jungs erwischen!
Aus: "The Boys [Bd. 1]: Spielverderber"
(© 2006 Spitfire Productions, Ltd. and Darick Robertson;
dt. Ausg.: © 2007 Panini Verlags-GmbH)
"Quis custodiet ipsos custodes?", fragte der römische Satiriker Juvenal vor etwa 2000 Jahren, was so viel wie "Wer überwacht die Wächter?" bedeutet, aber auch unter deutschen Comic-Freunden eher in der englischen Variante bekannt ist: "Who watches the watchmen?"
In Alan Moores '86er Comic-Klassiker "Watchmen" (über eine Parallelwelt, in der Superhelden wirklich existieren) taucht diese Frage immer wieder als Graffito auf Hausmauern auf. Moore geht es letztlich um das Problem der Kontrolle absoluter Macht, und er impliziert dieselbe Antwort, die bereits 400 Jahre vor dem alten Römer Juvenal der alte Grieche Platon in seiner Staatslehre gab:
Nur allmächtige Wächter könnten allmächtige Wächter in ihre Schranken weisen.
Aber ach, wie schwierig und paradox das klingt! Da lob ich mir doch die im Herbst 2006 gestartete neue Serie von "Preacher"-Autor Garth Ennis und "Transmetropolitan"-Zeichner Darick Robertson. Who watches the watchmen? Die mit Bierfahne und kerligem Gelächter gebrüllte Antwort lautet dort ganz einfach: "The Boys"!
Angeführt von dem bulligen Briten Billy Butcher überwacht das Quintett im Auftrag der CIA die vermeintlich allmächtigen Superhelden und stutzt sie bei Bedarf nur allzu gern auf handliches Format zurecht. Was gar nicht so schwer ist. Denn erstens haben die meisten Superhelden dieses Paralleluniversums außer Prügeleien mit Superschurken nur Werbeverträge, Drogen und harten Sex im Kopf.
Und zweitens verfügen die "Boys", deren brutalstes Mitglied ausgerechnet "das Weibchen" ist, selbst über Superkräfte.
Womit wir wieder bei Platons und Moores Paradoxon wären: Wächter überwachen Wächter. Dieses vertrackte Problem scheint Ennis bislang nicht aufgefallen zu sein. Darüber könnte man sich glatt ärgern, würde man sich bei "The Boys" nicht so großartig amüsieren.