Samstag, 24. November 2007
Der alte Fritz
Zur Fantasy-Miniserie "Fafhrd und der Graue Mausling"


Fritz Leibers Fantasy-Gauner "Fafhrd und der Graue Mausling"
behalten selbst im Rausch den Durchblick
(auch in der Comic-Version von Chaykin und Mignola)


(© Fritz Leiber & The Estate of Fritz Leiber;
dt. Ausg.: Amigo Grafik/Cross Cult)


Nein, Szenen wie diese liest man wirklich nicht alle Tage:

Nachdem sie einen fahrenden Händler um Börse und Zugpferde erleichtert haben, preschen die beiden besten Diebe des Planeten Nehwon auf den gestohlenen Gäulen davon. Hinter ihnen reckt der Händler hilflos die Fäuste und brüllt:

"Diebe! Kommt zurück!"

Woraufhin der Graue Mausling (klein, schwarzgelockt) seinem neben ihm reitenden Komplizen Fafhrd (hünenhaft, rotbärtig) fröhlich zuruft:

"Was für ein absurder Vorschlag! Ob sie das jemals begreifen?"

Nanu, sarkastische Sprachkritik in einem Fantasy-Comic?

Ich gebe zu: Ich habe nicht nur gelacht, sondern auch gestaunt. Die Szene findet sich in der zweiten von sieben Kurzgeschichten, die zusammen die Miniserie "Fafhrd und der Graue Mausling" bilden. Und sie ist durchaus typisch für diesen Comic, der ursprünglich von 1990 bis '91 in vier Heften bei Marvel erschien, aber erst im März 2007 endlich als US-Sammelband bei Dark Horse neu aufgelegt wurde. Im September hat Cross Cult dieses kleine Juwel nun als schmuckes Hardcover auf Deutsch herausgebracht.

Tja, mea culpa: Vor einigen Wochen habe ich hier in einem Porträt der glänzenden Serie "Donjon" noch geklagt, das Genre der Fantasy-Comics habe ansonsten ja herzlich wenige intellektuelle Gemmen hervorgebracht. Das sehe ich zwar nach wie vor so, allerdings wünschte ich, ich hätte neben "Donjon" auch prompt "Fafhrd und der Graue Mausling" als Ausnahme gelobt. Nur hatte ich das Werk des Traumtrios Chaykin, Mignola und Williamson leider nicht auf dem Zettel.

Was um so peinlicher ist, als ich auch den Autor der literarischen Vorlage schätze: Fritz Leiber (1910–1992) studierte Philosophie, Psychologie und Biologie, war eine Zeit lang Schauspieler und Schauspiellehrer, eine kürzere Zeit lang Laienprediger, die längste Zeit über aber Autor phantastischer Literatur.

Leiber (sprich: "Lieber") sah sich als Schüler des Horrorpapstes H. P. Lovecraft und Epigone von "Conan"-Schöpfer Robert E. Howard und hätte wohl nie zugegeben, dass er als Stilist beiden klar überlegen war. Der Mann aus Chicago gewann so ziemlich alle Preise der Sci-Fi-, Horror- und Fantasy-Literatur, blieb aber – besonders hierzulande – dem Mainstream-Publikum merkwürdig unbekannt.

Ich selbst habe Leiber auch erst vor wenigen Jahren durch seine brillante Horrorstory "Smoke Ghost" kennen gelernt, die um 1940 entstand, mit ihren abgefeimten Psychospielchen aber noch heute modern wirkt. Seine größten Erfolge feierte er allerdings mit den Fantasy-Geschichten um "Fafhrd and the Grey Mouser", deren erste er 1939 publizierte, die letzte knapp 50 Jahre später. Leiber erfand die Figuren gemeinsam mit seinem Freund Harry Otto Fischer, schrieb aber fast sämliche Geschichten allein.

Leibers Helden, der Ex-Pirat Fafhrd (was offenbar so ähnlich wie "Faferd" ausgesprochen wird) und der gescheiterte Zauberlehrling Mausling, plünderten die geheimnisvolle Welt von Nehwon aus, bestellten aber gleichzeitig ein Feld, von dem die Fantasy bis heute zehrt: Leibers wimmelnde, dekadente Metropole Lankhmar darf wohl als Keimzelle aller wimmelnden, dekadenten Fantasy-Metropolen gelten und beeinflusste nicht zuletzt die Rollenspiel-Szene.

Anders als die meisten Fantasy-Autoren vor und nach ihm nahm Leiber seinen Kosmos nie zu ernst, sondern nutzte ihn als satirischen Zauberspiegel für die Realität. Terry Pratchett, der erfolgreichste aller Fantasy-Ironiker, zollte dem Meister denn auch schon im ersten seiner "Scheibenwelt"-Bestseller Tribut und parodierte Fafhrd und den Mausling als "Bravd und Schleicher" (im witzigeren Original: "Bravd and the Weasel").

Zwar herrscht auf dem Planeten Nehwon kein Mangel an Wundern, doch erstaunlich oft drehen sich die Geschichten Fritz Leibers um Schein und Wirklichkeit: In "Basar des Bizarren" verbirgt sich hinter dem Angriff der "Verschlinger" offenkundig eine Satire auf Werbung und Propaganda. In "Schwere Zeiten in Lankhmar" zerstreiten sich der Mausling und sein Freund allen Ernstes über die korrekte Schreibweise von Fafhrds Namen und finden dann durch ein vom Mausling clever – und rasend komisch – arrangiertes religiöses "Wunder" wieder zueinander.

Nun ist es sicher nicht der Name "Fritz Leiber", der dem Cross-Cult-Band die meisten Käufer bescheren wird, sondern der Name "Mike Mignola". Wer den Comic allerdings nur als Gesellenstück des späteren "Hellboy"-Schöpfers liest, bringt sich um viel mehr als nur den halben Spaß. Denn erstens ist hier eine meisterhafte Adaption zu genießen und zweitens ein Musterbeispiel für gutes Teamwork, bei dem Comic-Kreative sich elegant die Bälle zuspielen.

Mignola, damals noch Rädchen im Marvel-System, war es, der 1990 den Chefredakteur des Marvel-Labels Epic Comics überredete, eine neue Comic-Version von Leibers Genreklassiker herauszubringen. (Längst nicht die erste, denn offenbar feierte das Diebesduo sein Debüt bereits 1972 in der DC-Serie "Wonder Woman".)

Der Superheldengigant Marvel hatte das Epic-Label nach dem Erfolg des hauseigenen Magazins "Epic Illustrated" gegründet, das genau wie der ältere Konkurrent "Heavy Metal" und dessen französisches Vorbild "Métal Hurlant" Fantasy- und Sciencefiction für Erwachsene bot. Wenn man so will, war Epic ein Vorläufer von DCs kultigem Vertigo-Label.

Comics "für Erwachsene"? Damit hatte der von Marvel zum Autor der Adaption erkorene Howard Chaykin Erfahrung – und wie! 1988 hatte er als Texter und Zeichner in seiner Miniserie "Black Kiss" gezeigt, wie gut sich Hardboiled und Hardcore im Comic vertragen. Doch bereits 1983 hatte er seine exzentrische Sci-Fi-Thrillerserie "American Flagg" mit einer Prise Porno gewürzt.

Allerdings: Abgesehen von ein paar subtilen Frivolitäten findet sich davon in Chaykins Szenarien für "Fafhrd und der Graue Mausling" nichts wieder. Aber die sinnenfrohen Diebe und die dekadente Welt der Metropole Lankhmar, die Chaykin schon als Teenager entdeckt hatte, gefielen dem Comic-Hedonisten natürlich. "Die Lankhmar-Storys", erklärt Chaykin im unterhaltsamen Vorwort der Neuauflage, "[sind] Sword & Sorcery für Leute, die gerne Hardboiled-Krimis lesen". Bereits 1973 hatte der Leiber-Fan mit anderen Zeichnern nach Skripten von DC-Starschreiber Denny O'Neil die "Fafhrd"-Adaption "Sword of Sorcery" illustriert.

Als Sohn eines jüdischen Ehepaars im eher provinziellen US-Staat New Jersey vor den Toren New York Citys aufgewachsen, faszinierten Chaykin die glitzernde Urbanität der Vorlage und die stolze Außenseiterposition der Helden: Fafhrd und der Mausling sind die ersten Stadtneurotiker der Fantasy, und Lankhmar ist laut Chaykin "auch nur ein ein leicht phantastisches Manhattan". Immer wieder zieht es die dubiosen Helden zurück zu dieser dubiosen Geliebten aus Mörtel und Stein – auch wenn Lankhmar ihnen herbste Enttäuschungen beschert, die Fafhrd und den Grauen Mausling immer wieder in die fernsten Winkel Nehwons hinaustreiben.

Gemeinsam mit dem Newcomer Mignola und dem altgedienten Al Williamson gelang Chaykin 1990 eine Adaption, die Comic-Freunden einen perfekten Einstieg in Leibers Welt bietet und Fantasy-Fans zugleich die Stärken guter Comics vorführt. Gelungen ist diese Umsetzung, gerade weil die Künstler sich bei allem Respekt keineswegs sklavisch an die Vorlage halten, sondern eine ganz eigene Interpretation vorlegen.

Während Leiber manchmal einen blumigen, adjektivverliebten Pulp-Stil pflegte (der dank seiner Ironie allerdings selten in Schwulst umkippte), erzählen Chaykin und Mignola durchweg straff und lakonisch. Dennoch wirkt ihre Umsetzung kaum jemals verkürzt. Das liegt daran, dass die Helden in Chaykins Szenario genauso redselig und eloquent sind wie in der Vorlage, aber auch daran, dass der Texter manche Storys geschickt erweitert und fortgesponnen hat. (Das gilt insbesondere für die Reise-Episode "Der Fluch der Wiederkehr", aus der auch die eingangs zitierte Szene stammt – in der Vorlage nur ein lapidarer Nebensatz.)

Obwohl bereits Leiber seine Diebe als weltgewandte Dandys in einem urtümlichen Metier darstellt, wirken Fafhrd und der Mausling im Comic wesentlich eleganter und charmanter als in den Originaltexten. Bezeichnend ist das erste Gespräch der künftigen Partner: Als sie sich mit gezogenen Schwertern gegenüberstehen, ist jeder so sehr vom Wortgeplänkel des anderen beeindruckt, dass sie Freundschaft schließen: "Wie überaus zivilisiert", bemerkt Fafhrd, "im Eifer des Gefechts darauf zu achten, was gesagt wird – und wie". Doch während dieser Dialog im Ursprungstext noch misstrauisch und zweifelnd durch die Zähne gezischt wird, plaudern die Diebe im Comic von Anfang an mit entspanntem Schmunzeln.

In den eleganten Zeichnungen des jungen Mignola wirken Fafhrd und der Mausling fast, als seien sie dem Absinth-Traum eines Bohemiens oder zumindest einem spinnerten Mantel-und Degen-Film entstiegen. Dies sind keine archaischen, von Mythen inspirierten Figuren, sondern, wie Chaykin selbst es ausdrückt,"Boulevardiers", die statt durchs Paris des Fin de siècle durchs verwunschene Lankhmar spazieren.

Verglichen mit Mignolas drei Jahre später begonnener, stark stilisierter "Hellboy"-Saga wirken seine sieben "Fafhrd und der Graue Mausling"-Storys ausgesprochen barock und detailbesessen, allerdings nie überladen (nicht zuletzt dank der bereits hier geschickt eingesetzten Schwarzflächen). Die Größe und buchstäbliche Vielschichtigkeit Lankhmars betont Mignola immer wieder durch exquisit aufgebaute Hochkant-Panels.

Nicht unterschätzen sollte man den Beitrag des Inkers Al Williamson, Nestor des Teams und selbst ein exzellenter Penciller. Der 1931 geborene New Yorker sog als Junge die klassischen Abenteuer-Strips auf, absolvierte eine Ausbildung bei Burne Hogarth ("Tarzan") und brillierte in den 50ern als Sci-Fi-Zeichner bei E.C. Die ersten Geschichten des "Fafhrd"-Bandes tuscht Williamson noch filigran, doch allmählich erhöht sich der Grad der Stilisierung. Anders gesagt: Der klassische Illustrator Williamson zieht sich zurück und überlasst nach und nach Mignola die Bühne.

Dessen Zeichnungen profitieren auch von der superben Farbgebung Sherlyn van Valkenburghs. Sie taucht viele Szenen in ein magisches Zwielicht und lässt in der flächigen, melancholischen Kolorierung jene Schwermut durchscheinen, die sich hinter dem Sarkasmus und der Abenteuerlust von Leibers Helden verbirgt.

Wirklich aufregend wird’s für Comic-Connaisseure immer dann, wenn Chaykin und Mignola die Möglichkeiten des Mediums Comic ausloten. Weil sie das oft tun, ist die Miniserie selbst für Fantasy-abstinente Leser ein Genuss. In der Episode "Der Preis des Vergessens" etwa, in der Fafhrd und Mausling getrennt voneinander (und kurzzeitig sogar gegeneinander) agieren, aber stets demselben Ziel nachjagen, legen Chaykin und Mignola einige Seiten als "Parallelmontagen" an: Das Layout ist an der senkrechten Mittelachse der Seite gespiegelt, die synchronen Vorgänge werden parallel gezeigt. Oh, das wirkt im Comic doch wesentlich eleganter und smarter als in einem Film mit Split Screen.

Gleich zu Beginn verblüffen Chaykin und Mignola mit einem noch raffinierteren Trick: Kurz bevor Fafhrd und der Mausling Komplizen werden, verfallen beide zufällig auf dieselbe verrückte Idee; als Statuen getarnt, lauern sie inmitten einer Reihe echter Skulpturen zwei Mitgliedern der Diebesgilde auf. Sie stürzen sich auf ihre Opfer (Panel 1), der Mausling schlägt ein Gildenmitglied nieder (Panel 2), und dann (Panel 3) "schneiden" Chaykin und Mignola auf eine der echten Statuen, deren – in Wahrheit natürlich unveränderte – Haltung nun so wirkt, als fasse sich die Steinfigur verblüfft an die Brust. Zwar wäre eine ähnlicher Gag auch im Film möglich, dort allerdings nur wesentlich holpriger und deshalb eher albern als amüsant. Der Witz hinter dem Witz ist natürlich, dass im Comic Menschen und Statuen letztlich beide unbelebte, starre Zeichnungen sind, weshalb der Leser den Schnitt selbst korrekt ausführen und den Gag erkennen muss. So machen Comics erst richtig Spaß!

Fritz Leiber ist hierzulande, wie schon gesagt, bis heute kaum bekannt, seine Originalgeschichten erschienen auf Deutsch lange nur gekürzt, häppchenweise und mit peinlichen Covern. Inzwischen liegen alle Storys um Fafhrd und den Grauen Mausling als neue und ungekürzte Übersetzung vor, zwischen 2004 und 2006 in vier Bänden bei der Edition Phantasia erschienen.

Vielleicht verhilft ja auch die exzellente deutsche Ausgabe dieser wohl besten Comic-Version dem alten Fritz Leiber zu größerer Popularität. Cross Cult bringt den Dark-Horse-Band (mit minimal verkleinerten Seiten) auf Deutsch als optisch wie haptisch sehr angenehmes Hardcover heraus: Design, Druck und Bindung sind exquisit.

Beim Lettering wurden nicht nur die Sprechblasen, sondern auch Wirtshaus- und Straßenschilder eingedeutscht. So etwas geht oft daneben, hier allerdings fügen sich die deutschen Aufschriften grafisch verblüffend nahtlos in die Bilder ein.

Gelungen ist auch die Übersetzung von Matthias Wieland ("Simpsons"), die den Esprit von Leibers und Chaykins Dialogen gut einfängt. Die Namen und Story-Titel entsprechen, so weit ich sehe, der Übersetzung Joachim Körbers in der Edition Phantasia. Die Dialoge hat Wieland ansonsten aber noch einmal frisch übersetzt, wobei mir seine Version teilweise besser gefällt als die Körbers, etwa beim ersten Auftritt des reimenden Zauberers Schilba mit dem blinden Antlitz.

Außer den sieben Storys, dem Vorwort von Chaykin und dem Nachwort Mignolas (beide ausgesprochen amüsant) enthält der Cross-Cult-Band ein gutes Porträt Leibers, in dem Cross-Cult-Lektor Christian Endres in Leben und Werk des Autors einführt – gerade für deutsche Leser sicher eine sinnvolle Ergänzung. Was leider fehlt, ist eine detaillierte Auflistung, wann und wo genau diese Comics erstmals erschienen sind. Aber bei so gut gealtertem Material ist das letztlich vielleicht auch schnuppe.



"Fafhrd und der graue Mausling"
Text: Howard Chaykin; dt. v. Matthias Wieland;
Grafik: Mike Mignola, Al Williamson
Cross Cult 2007; 205 Seiten, 22,- Euro.