Sonntag, 14. Oktober 2007
Apparat-schick
"Ex Machina [Bd. 2]: Zeichen" von Brian K. Vaughan


Superbürgermeister Hundred spricht Klartext –
mit Menschen wie Maschinen.
Aus: "Ex Machina [Bd. 2]: Zeichen"

(© 2005 Brian K. Vaughan and Tony Harris;
dt. Ausg.: © 2007 Panini Verlags-GmbH)


Es mag vermessen sein, von der Politik zu verlangen, sie möge doch nicht nur nützlich, sondern auch unterhaltsam sein. Aber ich erwarte ja gar keine rhetorisch brillanten Debatten, nur ein bisschen Aufregung abseits der üblichen Stellungskriege. Dabei kann ich mich als Wahl-Hamburger noch nicht einmal beklagen, irgendwo scheppert es hier immer: Bauwagenplatz-Bambule, eine unterstellte Affäre des Bürgermeisters mit seinem damaligen Justizsenator oder – just heute – eine Volksabstimmung über Volksabstimmungen.

Auch der clevere US-Comic-Autor Brian K. Vaughan hat's eher mit der Kommunalpolitik. Seine Polit-Comic-Serie "Ex Machina" spielt deshalb nicht in Washington, sondern in New York City.

Ich liebe "Ex Machina", weil Vaughan wunderbar süffig über komplizierte politische Zusammenhänge schreiben kann. Und ich liebe "Ex Machina", weil Vaughans schlaue Szenarien von dem Team um Tony Harris in brillante Bilder umgesetzt werden, obwohl die Stories und Dialoge selbst im Strichmännchenformat fesseln würden.

Seit Dave Sims Klassiker "Cerebus: High Society" (1981-83) ist "Ex Machina" vielleicht die beste Politsatire, die das Comic-Medium hervorgebracht hat. In den USA sind seit 2004 bei DC/Wildstorm bereits fünf Sammelbände erschienen, der sechste ("Power Down") folgt im November, bei uns hat Panini im Juli den zweiten ("Zeichen") veröffentlicht.

"Ex Machina" gilt als Superheldenserie. Im Grunde handelt es sich aber um eine Politserie mit starkem Sciencefiction-Einschlag: Mitchell Hundred, Bauingenieur im Dienst der Stadt New York, stößt 1999 unter der Brooklyn Bridge auf ein grün leuchtendes Objekt – das explodiert und ihm die Fähigkeit verleiht, mit Maschinen zu sprechen. Er versucht daraufhin zwei Jahre lang als erster und einziger echter Superheld "The Great Machine", New York sicherer zu machen, stiftet dabei allerdings vor allem Chaos. Frustriert beschließt Hundred, sein – herrlich lächerliches – Kostüm samt der Superkräfte einzumotten, seine Geheimidentität preiszugeben und als "ganz normaler" Kandidat bei der Wahl zum Bürgermeister anzutreten. Der einst wie ein deus ex machina eingreifende Heros wird zur Ex-"Machine". Zunächst scheint es, als habe der parteilose Hundred keine Chance. Doch ausgerechnet die Anschläge vom 11. September 2001 (mutig in die Handlung integriert) bescheren ihm einen Erdrutschsieg. Und damit beginnen seine Probleme erst richtig.

Nun hätte aus dieser Ausgangsidee (ich resümiere oben nur das erste Kapitel) ziemlicher Quark werden können, hätte Mitch Hundreds Erfinder Brian K. Vaughan nicht selbst etwas von einem Normalo-Superhelden an sich. Vaughan ist vielleicht der beste Mainstream-Comic-Autor seit Alan Moore ("V for Vendetta", "Watchmen"). Er schreibt schnell (bis zu vier größere Serien gleichzeitig), er schreibt gut (weshalb er zweimal den Comic-Oscar "Eisner Award" gewann) und er sieht dabei auch noch klasse aus – jedenfalls im Vergleich zu manch anderem Comic-Genie;-)

Und Vaughn kann sogar eine "origin story" vorweisen, die nach Mirakel und mad scientists klingt: Seine Karriere begann mit dem (ta-Daaahh!) "Stanhattan Project". Hinter dem Wortmix aus "Manhattan Project" und dem Vornamen von Comic-Ikone Stan Lee verbirgt sich ein Schreib-Workshop, den die New York University 1995 in Kooperation mit dem Comic-Verlag Marvel anbot. Filmstudenten, die eine Laufbahn als Drehbuchautoren anstrebten, konnten sich dabei als Comic-Texter versuchen.

Vaughans Drehbuch-Hintergrund ist in seinen Erfolgsserien "Y – The last Man", "Runaways" und "Ex Machina" deutlich spürbar: Charaktere und Storylines sind komplex wie in guten TV-Serien, die Panelfolgen und Übergänge besitzen filmische Dynamik, die Dialoge sind ausgefeilt. Dazu passt natürlich, dass Vaughan inzwischen auch für den Ferseh-Hit "Lost" schreibt und dass Joss Whedon ihn als Co-Autor für die Comic-Fortsetzung seiner Kult-TV-Serie "Buffy the Vampire Slayer" ins Boot holte. (Während Vaughan bei "Buffy" einstieg, übernahm der Comic-Kenner Whedon übrigens Vaughans Marvel-Serie "Runaways".)

Mitunter legt Vaughan seinen Figuren zuviel von seinen immensen Polit-, Geschichts- und Literaturkenntnissen in den Mund. In den besten Momenten versprühen seine Sprechblasen aber den schnellen Esprit klassischer Screwball-Komödien. Etwa beim Dialog einer Reporterin mit dem genervten "Ex Machina"-Bürgermeister Hundred: "No offense, Sir, I appreciate what you did for this city and all... but I see why my paper didn't endorse you." "Well, no offense, but I see why your paper is free."

An der Oberfläche folgen die meisten Episoden einem ähnlichen Muster: Bürgermeister Hundred muss mit seinem Team (vom rüden Bodyguard Bradbury bis zur toughen Polizeichefin Angotti) brennende lokalpolitische Probleme lösen, wird dabei aber wider Willen immer wieder mit seiner Vergangenheit als Superheld konfrontiert. Diese Struktur erlaubt es Vaughan jedoch, unterschiedlichste Genres (neben den Grundlagen Politdrama und Sci-Fi) zu erkunden. Viele Szenen des ersten Bandes ("Die ersten hundert Tage")erinnern an TV-Satireserien wie "Spin City" oder "The West Wing". Ihnen fügt Vaughan die "origin story" von Superheld Hundred hinzu sowie einen Thrillerplot um einen Serienmörder.

Im zweiten Band, "Zeichen" (im Original: "Tag") nimmt Vaughan den Humor etwas zurück und mischt ernsthaftes Politdrama mit blutigem Horror: Während sich Hundred als Bürgermeister mit dem Thema "gleichgeschlechtliche Ehe" befasst, löst er als Ex-Superheld das Rätsel um bestialische Morde und andere unheimliche Vorfälle in der New Yorker U-Bahn.

Wie schon eingangs gesagt, beeindruckt an "Ex Machina" nicht nur das Szenario, sondern auch die Optik. Zeichner Tony Harris stellt die Szenen aus Vaughans Skript zunächst mit Nachbarn und Freunden nach, fotografiert sie und kreiert auf dieser Grundlage seine detailgenauen Panels. Dass die Bilder dennoch nie wie durchgepaust wirken, liegt erstens daran, dass Harris Mimik und Gestik gekonnt übersteigert, zweitens an den expressiven Tuschlinien von Inker Tom Feister und drittens an der clever stilisierten Kolorierung von JD Mettler. Schattierungen von Gesichtern oder Kleidung gibt Mettler durch klar abgegrenzte Farbflächen wieder, mit anderen Worten: Er zeichnet beim Kolorieren. Außerdem wählt er für fast jede Szene einen anderen Grundton aus, was extrem zur Atmosphäre beiträgt. (Mehr zur Arbeit dieses Dreamteams erfährt man in diesem langen "Comic Foundry"-Interview.)

Die Horrorepisoden in Band 2 zählen für mich zu den spannendsten der Serie, dennoch erreicht "Zeichen" nicht ganz das Niveau von Band 1, "Die ersten hundert Tage". Weil "Ex Machina" in den USA als "suggested for mature readers" verkauft wird, fühlte sich Vaughan anscheinend verpflichtet, die Reife seiner Serie mit Splatter und etwas Sexgeplapper zu betonen. Aber was in Garth Ennis' "Preacher" oder "The Boys" amüsiert, wirkt inmitten Vaughans komplexer Politdialoge fehl am Platz – und ist in der Serie denn auch die Ausnahme geblieben.

Auch etwas seltsam, aber speziell für deutsche Leser sehr drollig: der Auftritt zweier BND-Agenten. Die futuristisch gewandeten "Krauts" passen nicht zum gut recherchierten Realismus, mit dem Vaughan Politik sonst schildert. Böse kann man ihm deswegen freilich nicht sein, immerhin fluchen seine Deutschen selbst im US-Original authentisch ("Verfickte Scheiße!") und nicht im üblichen "Schweinhund"-Kauderwelsch.

Apropos Deutsch: Die zahlreichen politischen Anspielungen finden sich auch in der angenehmen Übersetzung von Claudia Fliege wieder. Allerdings hätte ich es begrüßt, wenn der Verlag eine Art Anhang mit Anmerkungen hinzugefügt hätte. Denn welcher deutsche Leser ist schon mit der US-Kontroverse um Schulgutscheine (school vouchers) vertraut oder kennt die "Log Cabin Republicans"? Andererseits: Für das Verständnis der Story sind diese Details nicht von Bedeutung. Und wozu gibt’s Google?



"Ex Machina [Bd. 2]: Zeichen"
Text: Brian K. Vaughan; dt. v. Claudia Fliege;
Grafik: Tony Harris u.a.
Panini 2007; 132 Seiten, 14,95 Euro.