Sonntag, 30. September 2007
Die jungen Pioniere
"The Red Star [Bd. 2]: Nokgorka" von Christian Gossett


Kinderkriegerin Makita kämpft mit der Symbolik.
Aus: "The Red Star 2: Nokgorka"

(© 2000–2007 by Christian Gossett;
dt. Ausg.: © 2007 Cross Cult/Amigo Grafik)


Ein wunderhübsches Hochglanzprodukt mit Babes in Uniform und jeder Menge martialischem Remmidemmi – nach viel mehr sieht die 2000 in den USA gestartete Serie "The Red Star" auf den ersten Blick nicht aus. Unter der gelackten Fassade verbirgt sich allerdings einer der seltsamsten Comics überhaupt.

Man muss sich das einmal vorstellen: Da denkt sich Mitte der 90er ein junger New Yorker namens Christian Gossett ein Kriegsepos aus, das in einer Fantasy-Version der späten Sowjetunion spielt. Einerseits ist Hexerei dort so alltäglich wie Wodka und Piroggen. Anderseits hat man die Magie in ein militärisches Korsett gezwängt. Wenn die schöne "Genossin Zauberin" Maya Antares also mit einem Spruch eine Schar Gegner ins Erdinnere schleudern will, dann klingt das so: "Zone: erste Schrittweite. Tiefe: eins drei zero. Protokoll: Sturz."

In den Quellenangaben zu "The Red Star" (auch etwas, das man nicht in jedem Comic findet) nennt Gossett u. a. Gogols Klassiker "Die toten Seelen" von 1842. Der Leibeigenschaftssatire aus dem zaristischen Russland hat Gossett womöglich ein wichtiges Motiv seines zwischen Sciencefiction und Fantasy angesiedelten Epos' entnommen, denn auch in "The Red Star" geht es – so viel darf man wohl verraten – letztlich um Geschäfte mit toten Seelen.

Die Protagonisten von "The Red Star" sind in erster Linie attraktive Frauen, anders als im Fantasy-Genre üblich zeigt der Zeichner sie allerdings niemals leicht bekleidet in sexy Posen, sondern meist mit sorgenschwerem Blick in dicker Winterkleidung. Das erstaunt um so mehr, als Gossett und seine Computer-Kumpel sich im "Making of"-Material der Comic-Bände als große Jungs präsentieren.

Als grafische Inspiration nutzte Gossett, Schöpfer, Zeichner und Hauptautor der Serie, denn auch keine Superhelden-Comics, sondern kommunistische Propagandaplakate und Kolossalskulpturen. (Statuen wie "Arbeiter und Kolchosbäuerin" oder "Mutter Heimat ruft" wirken heute, als seien sie Gossetts Paralleluniversum entsprungen).

Gossetts grafisches Konzept ist mindestens so exzentrisch wie sein Szenario: Einerseits gilt "The Red Star" als eines der eindrucksvollsten Beispiel für den Einsatz computergenerierter Grafik im Comic. Gossett dirigiert mehrere 3-D-Grafikteams und Solo-Virtuosen, die seine Bleistift-Entwürfe in Raumschiffmodelle und Landschaften umsetzen oder zur Berechnung der passenden Ausleuchtung einer Szene benutzen.

Alle Macht den Geräten? Weit gefehlt: Gossets Pionierarbeit ist eine Ode an die gekonnte Bleistiftzeichnung. Er verbirgt die Graphitstrukturen seiner delikat konstruierten Figuren nicht wie im Comic üblich unter eleganter schwarzer Tusche. Im Gegenteil: Er stellt sie stolz vor die am Computer gerenderten Hintergründe und vergrößert sie mitunter, bis die Bleistiftstriche wie Kohlezeichnungen wirken.

Der Reiz von "The Red Star" liegt in solchen Widersprüchen, Absurditäten, Ambivalenzen – und sogar in seinen Schwächen.

Im August ist bei Cross Cult mit "Nokgorka" der zweite deutsche Sammelband erschienen. Sehr erfreulich: Die deutsche Ausgabe enthält (als Prolog) auch das Sonderheft "Run, Makita, Run!", das im US-Pendant von 2002 unverschämterweise nicht enthalten war. Es gehört zu den Höhepunkten der Serie und gibt der Figur der Kinderpartisanin Makita wesentlich mehr Tiefe. Der erste Band, "Die Schlacht vor Kar Dathras Tor", wirkte mit seinen ganz- bis doppelseitigen Panels oft eher wie ein Posterbook denn wie ein Comic, ein rechter Lesefluss mochte sich nicht einstellen. Das ist zum Glück vorbei: Gossett legt nun mehr Wert auf Montage und Timing. Außerdem zeichnet er die Mimik der Charaktere wesentlich nuancierter.

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