Im Labyrinth der Fantasy-Serie "Donjon"
(Teil 2 von 2)
Killerin Alexandra sucht Trost bei Professor Cormor.
Aus: "Donjon -84: Nach dem Regen"
(© 2006 by Guy Delcourt Productions;
dt. Ausg.: © 2007 Reprodukt)
Wenn Joann Sfar und Lewis Trondheim viermal gefragt werden, wie ihre "Donjon"-Geschichten entstehen, geben sie vier unterschiedliche Antworten. Doch, so viel scheint sicher, offenbar ist es meistens Sfar, der die Grundidee eines neuen Albums liefert. In langen Telefongesprächen spinnen beide Autoren dann das Szenario aus. Beim eigentlichen Schreiben folgen sie keiner festen Arbeitsteilung: Mal liefert Sfar mehrseitige Zusammenfassungen, die Trondheim nur im Detail verändert, mal arbeiten sie sich abwechselnd Seite für Seite durch das Album, so dass auf eine reine Sfar-Seite eine Seite purer Trondheim folgen kann. Der französische "Donjon"-Verleger Guy Delcourt, verrät Sfar in einem "BD Paradiso"-Interview, "foppt uns manchmal ein bisschen, indem er sagt, Lewis wäre Fred Astaire und ich Ginger Rogers." Grundsätzlich skizziert Trondheim nach dem Erstellen des Szenarios Seitenlayout und Bildaufbau – selbst dann, wenn nicht er oder Sfar, sondern einer ihrer zahlreichen Gastkünstler das Album zeichnet.
"Donjon", meint Trondheim, sei inzwischen "ein Monster geworden, ein sympathisches Monster, aber eines, dass niemals einer allein hätte erschaffen können." Als er und Sfar neben der Urserie "Donjon" (alias "Donjon Zenit") Serien über Vorgeschichte ("Donjon Morgengrauen") und Untergang ("Donjon Abenddämmerung") ihrer Fantasy-Festung starteten, deuteten sie durch die eigenwillige Nummerierung der Alben an, dass die gesamte Geschichte 300 Alben umfassen würde (dazu später mehr). Auf Nachfragen, ob sie dass denn ernst meinten, "sagten wir zunächst immer nein", erzählt Trondheim auf "BD Paradiso", "aber inzwischen denken wir: warum nicht?" In erster Linie ginge es den Autoren jedoch einfach darum, Spaß zu haben.
"Donjon" liegt kein bis ins letzte Detail durchdachtes Konzept zu Grunde. Sfar und Trondheim kreierten die Serie Ende der 90er-Jahre aus Lust und Laune. Oder besser: aus Frust und Laune. Denn bevor es "Donjon" gab, gab es "Troll": Mitte der 90er ersann Joann Sfar gemeinsam mit Morvan (genau: der spätere "Spirou"-Autor, der Ende 2006 nach nur drei Alben gefeuert wurde) das Szenario für eine Fantasy-Parodie. Beim Verlag Delcourt (wo später auch "Donjon" erscheinen sollte) zeigte man sich angetan und übertrug die grafische Ausarbeitung dem talentierten Zeichner Olivier Boiscommun.
Doch dessen sehr realistischer Zeichenstil biss sich in Sfars Augen heftig mit dem ironischen Ton des Szenarios. Offenkundig hätte Sfar die Serie "Troll" (dt. bei Splitter) am liebsten schon nach dem ersten Band beerdigt. Leider gab es da ein Problem: "Troll" hatte Erfolg und Sfar musste noch an zwei weiteren Alben mitarbeiten, bevor Morvan solo weiterschrieb.
Und so schimpfte Sfar Ende 1997 bei Lewis Trondheim: "Von 'Die kleine Welt des Golem' [dt. bei avant], die mir so am Herzen liegt, verkaufen sich [...] gerade mal 2000 Ausgaben, während sich von 'Troll', den ich nicht mag, über 20.000 verkaufen." Worauf Trondheim trocken entgegnete: "Das ist doch normal. Egal, was du im Heroic-Fantasy- Genre machst, es verkauft sich." (Sfar gibt das Gespräch in Hugues Dayez’ Buch ""La Nouvelle Bande Dessinée"" wider.)
Trondheim schlug daraufhin zunächst vor, Sfars Idee einer zugleich epischen und ironischen Fantasy-Serie als Genreparodie innerhalb seiner Reihe "Herrn Hases haarsträubende Abenteuer" (dt. bei Carlsen) zu veröffentlichen. Dabei hätte Trondheims Schöpfung "Lapinot" alias "Herr Hase" die spätere Rolle des Enterichs Herbert eingenommen. Sfar lehnte ab, er wollte etwas völlig Neues. So entstand die Urserie "Donjon", das spätere "Donjon Zenit". Mit seinem "Heroic-Fantasy"-Spruch behielt Trondheim Recht: Der erste Band, veröffentlicht im April 1998, verkaufte sich gut – trotz Trondheims reduziert-karikierendem Zeichenstil. Inzwischen liegen von "Donjon Zenit" fünf französische und vier deutsche Alben vor. Besonders Band 2, "Der König der Krieger", verbindet meisterhaft Philosophie und Klamauk. Übrigens: Den Titel "Donjon" konnte Trondheim anfangs nicht ausstehen (wie er auf "L'Echo du Donjon" gesteht).
Für die ersten zwei Bände lieferte Sfar weitgehend ausgearbeitete Stories, Figurenentwürfe und erste Layouts. Trondheim gab den Alben den letzten grafischen Schliff und tuschte die Endversion, weshalb man ihm zunächst das komplette Design der Serie zuschrieb. Offenbar leicht angesäuert, schlug Sfar seinem Partner daraufhin vor, gemeinsam eine Ablegerserie über den Niedergang des Donjon zu schreiben, die Sfar allein zeichnen und tuschen würde. Trondheim hatte keine Lust: Neben "Herr Hase", dem ersten "Donjon" und weiteren Projekten bliebe ihm zu wenig Zeit. Sfar, erinnert sich Trondheim im "Comics Journal", "sagte: okay, das verstünde er sehr gut." Fünf Tage später faxte Sfar ihm die ersten drei Seiten von "Donjon Abenddämmerung" zu. Was er sah, überzeugte Trondheim. Bislang gibt es fünf französische Bände und drei deutsche. (Seit Band 4 zeichnet das Kreativduo "Kerascoët" die "Abenddämmerung", ab Band 6 soll Obion übernehmen.)
"Aus Jux", so Trondheim, "schlug ich vor, dass wir gleich noch eine weitere Serie erfänden, die in der Vergangenheit spielen sollte": "Donjon Morgengrauen". Als Zeichner war zunächst Manu Boiteau vorgesehen, dann Mazan, schließlich aber fand man in Christophe Blain ("Isaak, der Pirat") den perfekten Partner: Blains fiebriger, kinetischer Strich eignet sich bestens für das wimmelnde Chaos dieser Vorgeschichte des Donjon. (Mit Band 5, geplant für Ende 2008, übergibt Blain allerdings an Christophe Gaultier). Die bislang vier französischen Bände liegen seit Frühjahr 2007 alle auf deutsch vor.
Nach dem Start von "Donjon Morgengrauen" arbeiten Sfar und Trondheim kurze Zeit an einer Trickfilmserie über die humorigen Abenteuer des Enterichs Herbert und des Drachisten Marvin zwischen Band 1 und 2 von "Donjon Zenit". Das Projekt zerschlug sich. Statt dessen begannen sie mit einer Comic-Serie, die zwischen verschiedenen Epochen hin und her sprang und in der Nebenfiguren (und sogar Gegenstände) des "Donjon"-Kosmos die Hauptrolle übernehmen konnten. Außerdem sollte jedes Album von einem anderen Gastkünstler gezeichnet werden. "Donjon Monster" hat es in Frankreich auf bislang elf Alben gebracht. Bei uns sind davon bis dato nur zwei erschienen (wobei der zweite Reprodukt-Band, "Die Armeen der Tiefe", dem neunten französischen entspricht).
Sfar und Trondheim nutzen die "Monster"-Geschichten als grafisches und erzählerisches Experimentierlabor der Serie. "Donjon"-Neulinge seien gewarnt: In keiner anderen Unterserie schwanken Tonfall und wohl auch Niveau der Szenarien so stark. "Die Armeen der Tiefe" etwa, grafisch aufregend von Killoffer in Szene gesetzt, wirkt streckenweise so zynisch, dass man sich in einem völlig anderen Fantasy-Kosmos wähnt.
Weil unter den 20 bis 30 Ideen, die sie für ihre Fernsehserie entwickelt hatten, so manche gute war, riefen Sfar und Trondheim nach "Donjon Monster" noch "Donjon Parade" ins Leben. Von den fünf französischen Bänden liegen bis jetzt vier als Übersetzung vor. Band 1 ("Noch ein Donjon"") ist sehr witzig, Band 2 ("Der Weise aus dem Ghetto") sogar eine Sternstunde des "Donjon"-Kosmos. Die weiteren Bände wirken daneben leider etwas flach. Gezeichnet wird die Serie von Manu Larcenet ("Der alltägliche Kampf").
Zur Orientierung in ihrem Seriendschungel nummerieren Sfar und Trondheim die Alben entsprechend ihrer Abfolge auf der "Donjon"-Zeitleiste: "Donjon Morgengrauen" beginnt bei "-99", die Urserie "Donjon Zenit" bei 1 und "Donjon Abenddämmerung" bei 101. Die Alben von "Donjon Monster" haben "Level"-Angaben, die sie parallel zur Chronologie der drei Hauptserien einordnen. "Die Armeen der Tiefe" spielt beispielsweise auf "Level 75", also 26 Episoden vor dem Beginn von "Donjon Abenddämmerung" (Bd. 101).
Zum Abschluss ein paar Worte zu den jüngsten deutschen Bänden:
Abgesehen von teilweise überarbeiteten Neuauflagen, sind bei Reprodukt im Frühjahr zwei frische Bände erschienen: "Nach dem Regen", vierter "Morgengrauen"-Band, spielt einige Jahre nach den ersten drei Alben dieser Unterserie. Ein teils absurd komisches, teils rabenschwarzes Pandämonium von Mördern und Huren, Gelehrten und Geldsäcken, an dessen Ende die korrupte Metropole Antipolis, Handlungsort der Vorgängerbände, in Trümmer geht und im Erdboden versinkt.
Die Vorgeschichte des mysteriösen Professors Cormor, der hier eine wichtige Rolle spielt, erzählt der just in Frankreich erschienene "Donjon Monster"-Band Nr. 11, "Le grand animateur". Zusammen mit dem angekündigten zwölften "Monster"-Band, "Le grimoire de l'inventeur", bilden sie die Cormor-Trilogie.
"Armageddon", dritter Band der "Abenddämmerung"-Serie, schließt nahtlos an die ersten zwei an. Im bislang humorvollsten Band dieser düsteren Unterserie lernen wir endlich die schon im allerersten "Donjon"-Abenteuer ("Das Herz einer Ente") erwähnten "Olfen" näher kennen, außerdem den genial bekloppten Junkie-Magier Gilberto. Auch hier kracht's: Der ganze "Donjon"-Planet Terra Amata geht entzwei, und Sfar und Trondheim verwöhnen nach einem etwas zähen Auftakt mit dramaturgischen Kabinettstückchen, in denen sich Traum und (Fantasy-)Wirklichkeit überschneiden.
(Gleich zu Beginn gibt es übrigens einen kleinen, auf makabre Weise ziemlich lustigen Fehler im Lettering: Auf Seite 3 heißt es, Marvin hätte seine "Armee" verloren – obwohl der Unglückliche in Wahrheit seine "Arme" eingebüßt hat.
Ich kann es mir nicht verkneifen: Schade, dass niemand auf das Wortspiel "Armabgeddon" gekommen ist ;-)
Im Oktober erscheint voraussichtlich "Die Hauptkarte": offiziell "Donjon Monster 3", im Grunde aber die Fortsetzung des "Abenddämmerung"-Bandes "Armageddon". Die Grafik übernimmt diesmal Andréas. Der deutsche Zeichner Andreas Martens ging in den 70ern zuerst nach Belgien, dann nach Frankreich und gilt dort als Comicstar, bei uns ist er trotz Veröffentlichungen bei Carlsen ("Unsterblich wie der Tod") und Alpha-Comic ("Rork") kaum bekannt.
Außerdem wird im Oktober dank "Hochzeit mit Hindernissen" endlich die Urserie "Donjon Zenit" fortgesetzt, wobei statt Trondheim nun Kollege Boulet zeichnet. Das Erscheinen des bislang letzten, vierten Bandes, "Missglückter Zauber", liegt immerhin schon fünf Jahre zurück. Für Ungeduldige: Der sechste Band, "Retour en fanfare", soll in Frankreich schon im November 2007 erscheinen.