Donnerstag, 25. Februar 2010
Was vom Jahre übrig blieb:
Meine Comic-Favoriten 2009 – Platz 4

Blotch – Der König von Paris

Text und Grafik: Blutch
Verlag: avant

© 2009 Blutch/Audie – Fluide Glaciale
© 2009 avant-verlag

"Blotch" ist einer jener Comics, die sich leichter mit Werken der "normalen" Literatur vergleichen lassen als mit anderen Comics. Heinrich Manns "Untertan" etwa, vor allem aber Roland Topors "Memoiren eines alten Arschlochs". Dennoch ist diese Sammlung kurzer Schwarzweiß-Episoden tief in der sequenziellen Kunst verwurzelt: "Blotch" ist ein vanitas vanitatum der jüngeren französischen Comic-Szene, eine ähnlich ausgeklügelte Selbstkasteiung wie Killofers Horrortrip "Sechshundertsechsundsiebzig Erscheinungen von Killofer", nur eben rasend komisch.

Okay, worum geht's? Der reale Zeichner Blutch*, der von 1988 bis 2000 für das reale satirische Comicmagazin "Fluide Glaciale" zeichnete, lässt sein fiktives Alter Ego, den bigotten Erzreaktionär Blotch, in den Jahren 1936/37 dümmliche Cartoons für das fiktive rechte Humorblatt "Fluide Glaciale" zeichnen – wobei Blutchs "Blotch"-Episoden wiederum Ende der 90er im echten "Fluide Glaciale" erschienen sind. Alles klar?

Reale Kollegen wie Manu Larcenet und der "Fluide Glaciale"-Vater Marcel Gotlib treten als Larssinet und als "unser geschätzter Gründer" Monsieur Marcel auf. Historischer Hintergrund ist das Paris der sozialistischen Volksfrontregierung unter Léon Blum – für den chauvinistischen Spießer Blotch eine Hölle auf Erden, zumal neben den "Roten" auch noch "diese Kubisten" und sogar Jazz-"Neger" die Metropole unsicher machen.

Autor Blutch projiziert seine Zukunftsängste vor Selbstgefälligkeit und kreativem Niedergang in die Vergangenheit und bündelt sie in Blotch. In jeder Episode gerät das selbst ernannte "schöpferische Genie" in die Bredouille, bekommt auf die Mütze und wieselt sich mit knapper Not heraus – nur, um weiterhin größtkotzig zu schwadronieren: "Als Victor Hugo starb, war ich gerade ein Jahr alt. Welch ein Verlust für den großen Mann: Er durfte mich nie kennen lernen." Die beißenden, mit Verve hervorgeschleuderten Dialoge (Übersetzung: Kai Wilksen) harmonieren perfekt mit den quicklebendigen, kalligrafischen Pinselzeichnungen.

Blotch ist kein Meister. Blutch schon.

* Siehe auch Platz 6.