(Worin das geneigte Publikum erfährt, dass Killerspielfiguren weinen können und dass ein roter Faden manchmal Verwirrung stiftet)
(Fortsetzung von Teil 1)
Der Sinn des Klebens:
Panini-Sticker zum Comic-Salon 2008
Ein bisschen juckte es mich in Erlangen ja doch in den Fingern, immer wenn ich diese Stickeralben sah: Das Klebebild- und Comic-Imperium Panini hatte in Zusammenarbeit mit den Veranstaltern ein Heft erstellt, in das man über 150 Abziehbilder von Künstler und Comics des Salons kleben konnte. Die Bilder gab es bei den entsprechend Ständen, Ausstellungen und so weiter. Alles kostenlos. Eine durchaus clevere Idee, um die Besucher in möglichst viele Bereiche des Salons zu ziehen – und offenbar auch in eine düstere Kneipe, wie die Erlanger Bloggerin Lisa Neun berichtet.
Das Album ließ ich standhaft liegen. Zu lebendig war die Erinnerung an Frust aus Kindertagen, als ich derlei Alben alle Jahre wieder bestenfalls zu drei Vierteln voll bekam. Etwa zwanzig der bunten Bildchen steckte ich zur Erinnerung dann aber doch ein.
Eigentlich war ich ja nach Erlangen gekommen, um etwas ganz anderes zu sammeln: Neun Comic-Bände schleppte ich mit mir herum, damit mir verehrte Künstler was hineinzeichneten und -schrieben. Und das Sammeln signierter Zeichnungen lief dann auch wesentlich besser als die Klebebildjagd anno dunnemals. Erfreulicherweise hatten die Zeichner auch Zeit für einen kurzen Schnack. Und: Es machte Spaß, jene Autoren, die in den eigenen Comics auftreten, mit ihren Alter Egos zu vergleichen. Wer "Olaf G." (avant-Verlag) gelesen hat, jene Mischung aus exzentrischer Biografie (des "Simplicissimus"-Zeichners Olaf Gulbransson) und alkoholisiertem Reise-Tagebuch, erkennt dessen Schöpfer sofort wieder: Die Norweger Fiske und Kverneland wirken so jungenhaft und aufgedreht wie im Comic (wenn auch nicht so kubistisch wie in Fiskes Zeichnungen) und reden mindestens genau so gern über deutsche Klosterbraukunst wie über Comics.
Auch ohne Klosterbräu gut gelaunt:
die Norweger Steffen Kverneland und Lars Fiske
Auf die Frage, was denn als nächstes komme, zog das Duo die norwegische Version des zweibändigen "Kanon" aus einem Umschlag: eine Reise auf den Spuren des hannoverschen Dadaisten Kurt Schwitters, die für mich noch spannender aussah als "Olaf G.". ("Cool, I'm from Hanover, too, originally." "We've been there! Look, here's us, in front of the Sprengel Museum.")
Guy Delisle ("Shenzhen", "Pjöngjang" und demnächst "Aufzeichnungen aus Birma") hat dagegen wenig von dem spitzbübischen Protagonisten seiner journalistischen Comics: Der Frankokanadier, der am Reprodukt-Stand (bestes Comic- und Künstler-Aufgebot des ganzen Salons!) binnen drei Tagen insgesamt stolze fünf Stunden signierte, ist ein sehr ernsthafter, ruhiger Mensch – der mich womöglich für ein bisschen bekloppt gehalten hat, weil ich in zwei Tagen dreimal vor seinem Tisch stand. Was aber nur daran lag, dass Line Hoven bzw. eine Stunde später Arne Bellstorf Schulter an Schulter mit Delisle zeichneten.
Die schönste von vielen schönen Zeichnungen gab's beim Berliner Mawil. Ganz anders als erwartet, kam ich am Sonntag sofort dran, woraufhin sich folgendes (für mich wenig ruhmreiche) Gespräch entspann:
Neurotiker: Nanu, ich dachte, hier steht jetzt die Schlange aller Schlangen...
Mawil: Aber doch nicht um 11 Uhr morgens am Sonntag!
Neurotiker (reicht dem Maestro dessen Buch "Wir können ja Freunde bleiben"): Tja, wenn ich mir was aussuchen darf: Zeichnest du mir 'nen Hitman?
Mawil: Aber der kommt da drin doch gar nicht vor, der Hitman?! [Für Uneingeweihte: "Wir können ja Freunde bleiben" handelt von Mawils Jugendlieben. Seine Satire zum Ballerspiel "Hitman 2" findet sich dagegen im jüngsten Werk, "Action, Sorgenkind!"]
Neurotiker (sich ertappt fühlend): Ja, sicher... ich mag das Buch hier halt am liebsten, aber ich fand die 'Hitman'-Geschichte auch super... Aber du kannst natürlich zeichnen, was du willst.
Mawil: Nee, is ja kein Problem, ich zeichne dir auch 'nen Hitman.
Und dann zeichnete Mawil mir einen "Hitman". Groß, oder?
Ursprünglich hatte ich mir vorgenommen, auf dem Salon nur ein oder zwei neue Sachen zu kaufen. Ha ha, tolle Idee! Mal abgesehen von Neuheiten an den Verlagsständen lockten vor Ort auch gut sortierte Händler wie Pictopia aus Österreich (u. a. mit Mahler-Raritäten aus Kanada!) und Passe-Partout, ein Freiburger Spezialist für französische Comics. Und so latschte ich dann stundenlang mit zwei immer volleren Taschen und Schulterwehweh durch die Gegend.
Der Tag endete beim Umtrunk mit Künstlern des diesjährigen Zeichnerseminars (großartige Ausstellung im "Museumswinkel" übrigens, leider etwas versteckt) und irgendwann entschlummerte ich selig in einem Vorstadtgasthof. Halt, "selig" stimmt nicht ganz. Die vielen Comics waren wohl doch etwas zu viel für den kleinen Neurotiker gewesen. Wie schon zu Beginn von Teil 1 erwähnt, träumte ich nämlich was Furchtbares: Meine komplette Comic-Sammlung war von Einbrechern geraubt worden! Auch die Hälfte der CDs war weg, den Fernseher hatten die Spaßvögel hingegen stehen lassen. Was wohl Neil Gaiman dazu sagen würde?
Sonntags, nach letzten Signier-Gesuchen und Einkäufen, ließ ich die Taschen dann endlich an der Garderobe und spazierte in die größte der zahlreichen Ausstellungen des Salons: "Manhua – Comic im China von heute". Um diese Ausstellung mit Originalzeichnungen und Digitaldrucken von 17 chinesischen ZeichnerInnen war schon im Vorfeld viel Wirbel gemacht worden, u. a. in einer Titelstory des "Zeit"-Magazins. Nun, auf den ersten Blick war ja auch alles wunderbar. Allein das Ambiente: Während man auf Holzplanken an Vitrinen und Monitoren entlang wandelte, umrundete man einen künstlichen Teich, über dem riesige Lampions schwebten. Und dass Chinas junge Garde Bleistift, Pinsel und PC mindestens so virtuos zu handhaben versteht wie ihre internationalen Kollegen, wurde auch schnell klar.
Laterne, Laterne: Die China-Ausstellung
geizte nicht mit Aufwand und Ambiente
Doch neben Highlights wie den verträumten Aquarell-Comics von Rain oder den am Computer "gemalten" sexy schmachtenden Girls und Boys des Salon-Stargasts Benjamin standen viele Exponate, bei denen ich keinen Unterschied zu Feld-Wald-und-Wiesen-Mangas aus Japan erkennen konnte. Okay, vielleicht lag's an mir. Vielleicht hätte es aber auch geholfen, den ausgestellten Seiten Zusammenfassungen des Comics oder gar Kopien mit übersetzten Sprechblasen hinzuzufügen. So was kostet natürlich Platz. Aber vielleicht wären weniger Exponate mehr Information gewesen. Zwar gab es kurze Biografien der KünstlerInnen, die aber außer dem (meist eh offenkundigen) Genre wenig über die Arbeiten verrieten. Unklar blieb auch, ob alle gezeigten Seiten zur Publikation in Printform gedacht waren: Die Zeichnerin Rain etwa verwendete eine Art Mischtechnik, bei der z. B. unzertrennliche Liebende mit einem in die Seite genähten roten Faden verbunden waren.
Echt spitze: Die Chinesin Rain
verbindet Comic-Kunst und "Textiles Gestalten"
Als interessante Ergänzung gab es im Obergeschoss der Halle zwei weitere Ausstellungen: "Lost in Translation" zeigte Seiten von Guy Delisle, der China, Nordkorea und Birma aus Sicht der beruflich dorthin versetzten, sich unentwegt wundernden Langnase betrachtet. "Kung-fu, Drachen, Abenteuer" ergründete die Darstellung Chinas im europäischen Comic. Hier nahm ich u. a. die Erkenntnis mit, dass selbst Delisle seinen in Originalschriftzeichen parlierenden Comic-Chinesen teilweise völlig absurde Sätze in den Mund legt. Sehr witzig: In einem älteren frankophonen Comic (dessen Titel ich notiert, aber verbaselt habe) schrien angreifende Banditen immer wieder: "Made in China!"
Weitere Ausstellungseindrücke im Schnelldurchlauf: schon am Vortag "Wilhelm Busch und die Folgen" im Stadtmuseum (ganz charmant, mit den Originalen zum gleichnamigen Buch) und die schon erwähnte, optimistisch stimmende Expo der Newcomer vom Comic-Seminar im "Museumswinkel" (erfrischend unterschiedliche Arbeiten zum Thema "Der Besuch").
Am späten Sonntagnachmittag wieder im "Museumswinkel" (einem ehemaligen Gebäude des Erlangen-Ernährers Siemens) dann die dicke Werkschau des Zeichners und Illustrators Hendrik Dorgathen (schöner Mix aus Pop und Pulp), außerdem Schabkarton-Originale und Familienfotos zu Line Hovens autobiografischem "Liebe schaut weg" (nur wenige Seiten, aber fesselnd persönlich), "Christophe Blain – Epische Reisen" (tolle Auswahl, Blains Schwarzflächen knallen im Din-A3-Original erst so richtig) und "Fumetto heute!" über Gipi und Landsleute, die ich mit dem Verdacht verließ, dass die nächsten aufregenden Comic-Novitäten eher aus Italien denn aus China zu uns kommen werden.
Im Shuttle-Bus zurück zur Lades-Halle (das Hauptgebäude des Salons) merkte ich zwar, dass der ins Gespräch vertiefte Brite vor mir Paul Gravett sein musste, der Doyen der britischen Comic-Publizistik, hatte aber nicht den Nerv, den Mann von hinten anzuquatschen ("Hey, Mister, I heff your website in my blogroll!").
Auf dem Weg zum Bahnhof nahm ich noch die kleine Ausstellung "Am Rande des Comics – old boys & young boys" im städtischen Kunstmuseum mit (Illustratoren und Maler aus Nürnberg und Umgebung).
Und dann, kurz darauf, der für zwei Jahre letzte prägende Eindruck von Erlangen: Isabel Kreitz saust, zierlich und ganz in Schwarz, den Bahnsteig entlang. Hinter sich den Rollkoffer, in dem höchstwahrscheinlich ihr Max-und-Moritz-Preis für den besten Kinder-Comic steckt.