Mittwoch, 28. Mai 2008
Comic-Salon Erlangen 2008 [Teil 1 von 2]
(Worin das geneigte Publikum erfährt, wie man verfeindete Lager eint, die Wonnen der Beschränkung auskostet und "Lewis Trondheim" korrekt ausspricht)


Die Asiaten kommen – wieder mal:
Die plakative Schönheit schuf " Benjamin" aus China


Mit den Hühnern aufstehen, sich über die Deutsche Bahn ärgern, Muskelkater vom stundenlangen Bücherschleppen bekommen und nachts ganz horribles Zeug träumen: All das habe ich letztes Wochenende getan. Und trotzdem war's ein Riesenspaß, dieses Wochenende auf dem Comic-Salon in Erlangen.

Der dreizehnte Salon war mein erster, denn bislang hatten mich Zeitmangel und/oder Phlegma stets vom Besuch abgehalten. Die Dreizehn war hier sicher keine Unglückszahl. Als Debütant kann ich die 2008er Veranstaltung selbstverständlich nicht mit früheren vergleichen. Allerdings hörte ich allenthalben, die Stimmung sei so gut wie noch nie. Am Stand der besten deutschen Comic-Zeitschrift, "Reddition", hieß es, in den Jahren zuvor hätten Aussteller regelmäßig "den Untergang des Abendlandes verkündet", soll heißen: das Ende aller Comic-Kultur in Deutschland. Diesmal aber herrsche überall eine fast schon zu rosige Aufbruchslaune.

Jawoll, Damundherrn, aufgepasst und hergehört: Das Zauberwort heißt "Graphic Novel"! Die Idee eines Comic-Äquivalents zum Roman sorgt zwar noch nicht für neue Umsatzrekorde, wohl aber für deutlich stärkere Medienpräsenz. In der samstäglichen Diskussion mit den Gewinnern des am Freitag verliehenen Max-und-Moritz-Preises erinnerte sich der Comic-Publizist Andreas C. Knigge, dass es vor 15 Jahren noch ganz anders ausgesehen hatte: Als er 1983 als frisch gebackener Carlsen-Cheflektor bei der FAZ anklingelte, um einen Artikel zum Tode des "Tim und Struppi"-Schöpfers Hergé anzuregen, habe man dort geradezu "hysterisch" reagiert: "Mit Comics wollte man nichts zu tun haben." Heute ist der FAZ-Autor Andreas Platthaus wohl der renommierteste deutsche Comic-Journalist.

Was in derselben Diskussion nicht ausgesprochen wurde: Die Beliebtheit der Bezeichnung "Graphic Novel" erklärt sich meines Erachtens u. a. daraus, dass sie Versöhnung zwischen den verfeindeten Leserlagern stiftet. Bezeichnenderweise wurde dieses Jahr "Vertraute Fremde" von Jiro Taniguchi sowohl mit mit der Max-und-Moritz-Trophäe für den besten Manga als auch zuvor schon mit dem Journalistenpreis "Comic des Jahres" ausgezeichet. Wenn sich die Freunde amerikanischer, europäischer und japanischer Comics auch sonst auf nichts einigen können: in der Graphic Novel, so schwammig dieser Begriff sein mag, finden sie einen kleinsten gemeinsamen Nenner. Wobei "kleinster Nenner" hier erfreulicher- und ausnahmsweise mal kein Synonym für "fauler Kompromiss" ist.


Anke Feuchtenberger und Nicolas Mahler zeichnen
und signieren am Reprodukt-Stand


Einen amüsanten und intelligenten Kontrapunkt zur Freude an der formalen Freiheit der "Graphic Novel" setzte in dieser Diskussion der Wiener Nicolas Mahler, dessen "Flaschko – der Mann in der Heizdecke" Tags zuvor als bester Strip ausgezeichnet worden war. Von Knigge auf die Beschränkungen des Strips gegenüber dem Comic-Roman angesprochen, erklärte Mahler, dass er just diese Beschränkung als Arbeitserleichterung empfinde: Die immergleiche Drei-Panel-Struktur seiner "Flaschko"-Strips sei das Format, "in dem ich arbeite und kämpfe." Und weiter: "Wenn mich dagegen eine Zeitung anruft und sagt: ‚Wir geben dir eine Seite. Kannst machen, was du willst!', dann ist das für mich eine viel schlimmere Anstrengung."
[Alle Mahler-Zitate sind bitte in feinstem Weanerisch zu lesen.]


Einen weitereren Höhepunkt dieser Diskussion lieferte der französische Zeichner Alfred. Am Vortag hatte er stellvertretend für Olivier Ka dessen Auszeichnung für das beste Szenario zum autobiografischen Kindesmissbrauchs-Comic "Warum ich Pater Pierre getötet habe" entgegengenommen. Auf Andreas C. Knigges Frage, warum denn gerade das Genre der Autobiografie so viele gute Graphic Novels hervorbringe, gab Alfred eine seltsam unpräzise Antwort: Vor fünfzehn Jahren hätten Künstler wie David B. oder Lewis Trondheim halt die in klassischen Genres festgefahrene frankophone Comic-Welt revolutioniert und für jedwedes Thema geöffnet. (Lag's an der Dolmetscherin? Ich bezweifle es, denn ihre Übersetzungen aus dem Französischen schienen durchaus korrekt zu sein.)

Nichtdestotrotz barg diese Antwort speziell für deutsch Comic-Fans mindestens eine faszinierende Information: Frankreichs aktueller Comic-Papst Lewis Trondheim, dessen Namen ich seit jeher naiv "Luis Tronthaim" ausgesprochen hatte, klang in Alfreds prononciation ganz anders: Leewiss Trond[h]äm.
(Das "[h]" steht dabei für ein gehauchtes "H", quasi die französische Ahnung eines "H", chérie.)

Ah, Monsieur Alfred, merci beaucoup! Jetzt weiß ich endlich, wie ich den Meister ansprechen darf, wenn er im Herbst auf eine kurze Signiertour durch Deutschland geht. (Übrigens, anders als angekündigt, nun doch nicht nach Berlin, wie Reprodukt-Chef Dirk Rehm erklärte.)

Andererseits: Tronthaim oder Trond[h]äm? In Wahrheit heißt der Mann doch eh Laurent Chabosy...

[Fortsetzung in Teil 2]