Samstag, 8. September 2007
Magie ohne Masterplan
Im Labyrinth der Fantasy-Serie "Donjon"
(Teil 1 von 2)


Als Innenarchitekt verkleidet,
infiltriert Herbert das Hauptquartier des Feindes.
Aus: "Donjon 1: Das Herz einer Ente".

(© 1998 by Guy Delcourts Productions;
dt. Ausg.: © 2007 Reprodukt)


Obwohl frankophile deutsche Comic-Fans es gern leugnen, verkauft sich auch im Comic-Wunderland Frankreich pubertärer Trash wesentlich besser als intellektuelle Panel-Kunst. Besonders die Unmengen einheimischer "héroïc-fantasy"-Alben, mit langen Schwertern und knappen Lederminis, haben mich beim Besuch französischer Comic-Läden immer wieder erstaunt.

Bevor ich mir hier unnötig böse Kommentare einhandle: Auch ich mag den überbordenden Einfallsreichtum und rüden Humor des "Lanfeust"-Comic-Kosmos, und "Auf der Suche nach dem Vogel der Zeit" gehört meines Erachtens in jede gute Sammlung. Die einzige französische Fantasy-Serie aber, deren Komplexität, Intelligenz und Esprit mich immer wieder beeindruckt, ist ausgerechnet eine Persiflage.

Fast zehn Jahre hat sie inzwischen auf dem Buckel und noch immer wirkt ihre Eröffnungsszene wunderbar frisch und frech:

"Vier schwarze Türme, deren höchster von zehn Tagesmärschen Entfernung aus zu sehen ist. Eine versteckte Eisentür inmitten der stinkenden Sümpfe. Endlose, mit Moos und Salpeter bedeckte Gänge. Leitern, Lastenaufzüge, Treppen bis ins Innere der Erde. Hinter jedem Stein verbergen sich legendäre Waffen, Fallen [...] [und] Monster zu Hunderten. Aus der ganzen Welt kommen Abenteurer auf der Suche nach Reichtum und Erfahrung, um sich an meinen Monstern zu messen. [...]

Und ihr mit euren Sockenköpfen, ihr kommt einfach her und verlangt, dass ich meinen Donjon verkaufe!

Ihr spinnt wohl!"
Sekunden nach dieser gescheiterten feindlichen Übernahme lässt der Hüter der Donjon-Festung die unverschämten Kapuzenträger aus dem Fenster des höchsten Turmes werfen.

Joann Sfar und Lewis Trondheim brauchten 1998 keine drei Seiten, um deutlich zu machen, dass in ihrer Serie "Donjon" ein anderer Ton herrschte als im großen Rest der Fantasy: respektlos, aber sophisticated, traditionsbewusst, aber sehr heutig.

Im Kern steht der "Donjon" des Grafen Hyazinth de Cavallère, auch bekannt als "der Wärter". Sein Donjon, wie man im Französischen eigentlich nur den Hauptturm einer Burg nennt, ist eine mächtige, labyrinthische Festung. Wer dort nach Gold sucht, endet fast immer als Monsterfutter und mehrt mit seiner verwaisten Börse den Reichtum des Donjon, was dann noch mehr Ritter, Magier und Barbaren anlockt.
Ein unschlagbares Geschäftsprinzip.

Die beiden wichtigsten Charaktere neben dem Wärter sind dessen Angestellte Herbert de Vaucaunson, ein ungelenker Enterich mit Zauberschwert, und der Drachist Marvin, eine Art Echsen-Samurai. Daneben agieren gut zwei Dutzend größere Nebencharaktere wie die Killerin und Kurtisane Alexandra oder der zauberkundige Drogenfreak Gilberto.

Aber worum geht es in den "Donjon"-Geschichten? Es geht um Alchemie und Nekromantik, Familienehre und Kampfgeschick, um untergehende Städte und zerberstende Planeten. Es geht aber auch um feurige Drachenkotze, um Kriegskunst-Gurus im Kartoffelsackkostüm und um die verstopfte Kanalisation der Festung. Aber vielleicht gründet der Erfolg der Serie auch darauf, dass die Geschichten allem Sarkasmus zum Trotz erstaunlich oft von Freundschaft und sogar Liebe handeln.

Was 1998 mit dem Album "Coeur de canard" begann (1999 auf deutsch als "Das Herz einer Ente"), hat sich inzwischen zu einem Serienkosmos mit drei Haupt- und zwei Nebenreihen ausgeweitet, die vor, während und nach der Bütezeit des Donjon spielen und die in Frankreich bislang 30 Alben umfassen. Dazu kommen noch einmal fünf Bände der Reihe "Donjon Bonus" mit Sonderausgaben bereits veröffentlichter Stories und dem Rollenspiel "Clefs en main". In Deutschland sind davon seit 1999 bislang 19 Bände erschienen. Bis 2004 bei Carlsen beheimatet, kommen die "Donjon"-Fortsetzungen und Neuauflagen seit 2005 auf deutsch bei Reprodukt heraus.

Zwei neue Bände sind dieses Jahr schon bei den Berlinern erschienen, zwei weitere sollen im Oktober folgen (mehr dazu in Teil 2 dieses Beitrags). Der wichtigste der diesjährigen Reprodukt-Bände ist freilich keine Neuerscheinung, sondern die in Übersetzung und Lettering minimal überarbeitete Neuauflage des allerersten Bandes "Das Herz einer Ente", denn hier finden Einsteiger am leichtesten Zugang zum üppig wuchernde Geschichtengeflecht.

Als Sfar und Trondheim, die Workaholics des Neuen französischen Comics, Ende der 90er-Jahre ihr erstes "Donjon"-Album zusammenspannen, wollten sie "eine Serie erschaffen, die so episch ist wie 'Der Herr der Ringe' und 'Star Wars', sich aber weniger ernst nimmt, und in die man alles einbauen kann, was einem an 'Muppet Show' und 'Micky Maus' gefiel". Sfars Schilderung (im Interviewband "La Nouvelle Bande Dessinée") erklärt nicht nur die Komplexität dieses Comics, sondern auch, weshalb sich darin statt Menschen nur anthropomorphe Tiere und schräge Monster tummeln. Aus dieser Idee hätte infantiler Unfug werden können, wäre hier kein Traumteam am Werk gewesen: Safr ("Die Katze des Rabbiners") ist gleichermaßen mit Kant, Kabbala und "Conan" vertraut, Trondheim dekliniert in seinen Solo-Comics wie besessen Genres, Erzählmuster, Timing und Dramaturgie durch. Oder wie Trondheim es kürzlich dem "Comics Journal" erklärte: "Joann bringt seine gut fundierte Bildung mit ein, seine Philosphiekenntnisse. Ich kümmere mich um die Struktur. Die Gags und der Quatsch, das kommt von uns beiden."

Das Konzept, statt der Fantasy-Helden die Monster zu Identikationsfiguren zu machen, war nicht neu: Nur ein Jahr vor "Das Herz einer Ente" hatte der Computerspielguru Peter Molyneux diese Idee 1997 im PC-Game "Dungeon Keeper" umgesetzt. Und in den Mitte der 70er erfundenen konventionellen Würfel-und-Papier-Rollenspielen nimmt ohnehin stets ein "Spielleiter" die Rolle des "Wärters" ein. "Donjon"-Schöpfer Joann Sfar, laut Trondheim begeisterter Rollenspieler, dürfte 1998 mit alldem vertraut gewesen sein – im Gegensatz zu Trondheim, der sich bis heute weigert, "Charakterbögen" und zwölfseitige Würfel in die Hand zu nehmen.

Wie die Donjon-Festung steckt die Serie voll geheimnisvoller Kostbarkeiten, die man nicht unter die Nase gerieben bekommt, sondern auf die man selbst stoßen muss. Einige sieht man nur aus der Distanz. Etwa, dass sich im französischen Original die Titel der fünf "Donjon"-Unterserien reimen (wer's nicht glaubt, klicke hier und lese laut).

Man kann im Donjon Anspielungen obskurster Art entdecken: Hinter der Ente Herbert de Vaucanson z. B. verbirgt sich ein Verweis auf den canard digérateur, eine mechanische Ente, mit welcher der – reale – Automatenkonstrukteur Jacques de Vaucanson im 18. Jahrhundert in ganz Europa Furore machte (vor allem, weil die Ente nicht nur flattern und schnattern konnte, sondern angeblich auch fressen und kacken).

Und dann sind da noch die unzähligen Verweise zwischen den einzelnen Unterserien: Personen, Orte und Gegenstände tauchen in verschiedenen Epochen auf, teilweise grotesk verändert. Neugierige finden Details dazu auf der besten Website zum Thema:
"Les Murmures du Donjon".

[Fortsetzung in Teil 2]