Donnerstag, 8. Mai 2008
Neurotisch durch Neuseeland (Teil 3 von 3)

(Fortsetzung von Teil 2)

Wer bereits die ersten beiden Abschnitte meiner Reise-Impressionen gelesen hat, fragt sich vielleicht schon seit einer Weile: Alter, du warst in Neusee-hee-land und erzählst überhaupt nichts über die ganzen geilen "Lord of the Rings"-Touren, die du mitgemacht hast?

Nun, dies liegt daran, dass ich keine mitgemacht habe. Hierfür gibt es mehrere Gründe.

Erstens: Mittelerde ist überall, soll heißen: Neuseeland sieht fast überall klasse aus, und nicht nur dort, wo Peter Jackson und Co. gedreht haben – wobei ich natürlich auch durch diverse Regionen gekommen bin, die als Filmkulisse gedient hatten.



Was "Der Herr der Ringe" nicht zeigt:
Saurons geheimes Spaßbad
(Emerald Lakes im Tongariro-Nationalpark)


Zweitens: Bei einer längeren Wanderung im Tongariro-Nationalpark, quasi das Filmdouble für "Mordor", traf ich in der Ketetahi-Hütte einen netten älteren Cineasten aus Wellington, der mir erklärte, Neuseeländer würden in Jacksons Filmen verblüffend wenige Landschaften wiedererkennen. Dies liegt offenkundig an der digitalen Nachbearbeitung und den ungewöhnlichen Blickwinkeln, die der Regisseur wählte (an manche Kamerastandpunkte gelangt man nur per Heli).

Drittens warben alle Touranbieter (von denen es übrigens überraschend wenige gibt) auf ihren Flyern mit den berüchtigten "photo ops", also Möglichkeiten, sich vor dufter Naturkulisse in Frodo- oder Legolas-Montur mit Plastikschwert fotografieren zu lassen. Okay, viel Spaß – aber ich möchte dabei nicht mal zugucken.

Das "Lord of the Rings Location Guide Book" kann ich Fans der Filme trotzdem empfehlen (und zwar die kleinere, billigere Variante; in der größeren sind anscheinend nur die Touri-Fotos aufgeblasen). Ich habe es erst nach der Hälfte meiner Reise gekauft, um mal zu sehen, an welchen Drehorten ich schon gewesen oder knapp vorbeigeschrammt bin.

Aber nun zurück zu den anderen Attraktionen! Vor und nach meinem Drei-Tage-Aufenthalt in Wellington habe ich, wie in Teil 2 gesagt, wenig Comic-Kultur gesehen. Einige Details aus dem Rest dieses schönen Landes möchte ich reiselustigen Nerds dennoch nicht vorenthalten.


Geht so: das Hostel "Cactus Jack's" in Rotorua


In Rotorua, berühmt für seine heißen Quellen, zuverlässigen Geysire und den allgegenwärtigen Schwefelgestank, verbrachte ich eine Nacht im "Cactus Jack's", einem Backpacker Hostel, also einer Art besserer Jugendherberge. Davon gibt es in Neueseeland unzählige, doch nur das "Cactus Jack's" ist außen wie innen komplett im Look eines Western-Comics gestaltet (aber eher "Lucky Luke" als "Blueberry"). Hey, howdy pardner, echt witzig! Leider verging mir das Kichern, als ich die sanitären Einrichtungen sah. Ein Problem mit Jugendherbergen ist eben, dass sie u. a. von der Jugend frequentiert werden. Von 19-jährigen Männern, kaum der Mutterbrust entrissen, kann man sicher noch nicht verlangen, dass sie mit Kulturtechniken wie dem "Spülen" vertraut sind.

Aber damit ich hier nicht falsch verstanden werde: Nach meinen Erfahrungen sind neun von zehn neuseeländischen Hostels gut bis exzellent, weshalb sie auf dieser Reise denn auch meine bevorzugten Unterkünfte blieben. Zudem war das "Cactus Jack's" im Großen und Ganzen sicher kein Dreckloch. Diese Bezeichnung würde ich nur für das "Surf 'N' Snow" in Auckland verwenden.

Aber ich schweife ab. Und ich schweife weiter ab: Nerds, die außer Comics auch Computerspiele mögen, sollten auf keinen Fall das prächtige Napier versäumen. 1931 von einem Erdbeben größtenteils platt gemacht, baute man die Stadt wenig später in Art-Déco-Manier wieder auf. Wer das ebenfalls mit Art Déco voll gestopfte Ballerspiel "Bioshock" kennt, fühlt sich in Napier sofort wie zu Hause – speziell wenn auch noch Jazz aus einer Bar dudelt. Netterweise muss man in Napier aber keine Angst haben, dass durchgeknallte "Splicer" um die Ecke hüpfen.


Wie "Bioshock" ohne das Geballer:
die Art-Déco-Hochburg Napier


Freunde virtuellen Blutvergießens werden auch an Napiers "Opossum World" (157 Marine Parade) keinen Anstoß nehmen. Die Millionenscharen der einst aus Australien eingeschleppten "Possums", zu deutsch: Fuchskusus, gelten in Neuseeland als leidiges Ungeziefer. Mangels natürlicher Feinde konnten sie sich ungehemmt vermehren und fressen den heimischen Vögeln nun die Nahrung und oft auch das Gelege weg. Die optisch recht drolligen Beuteltiere (die in Australien ironischerweise vom Aussterben bedroht sind) werden deshalb in Neuseeland mit Fallen gejagt und auch ungerührt überfahren. "Opossum World" bietet außer allerlei lokal gefertigten Pelzartikeln (nudge, nudge!) auch informative Schaukästen zu diesen Geschöpfen.


Aus unserer Reihe
"Spaß mit toten Beuteltieren":
Exponat in der "Opossum World" in Napier


Die neuseeländischen Possums sind übrigens nicht identisch mit den nordamerikanischen Opossums, deren bekanntester Comic-Vertreter sicher "Pogo" aus Walt Kellys gleichnamigem Comic-Strip-Klassiker ist.

Ich überspringe zahlreiche Stationen, darunter das in Teil 2 ja schon über den grünen Klee gelobte Wellington, und fahre fort mit Greymouth, einer wirklich maßlos öden Angelegenheit, speziell am Sonntag. (Na, wann war ich wohl dort?)

Okay, immerhin steht in Greymouth die Heimatbrauerei der leckeren Monteith-Biere, außerdem habe ich dort einen – natürlich gerade geschlossenen – charmanten Laden voll lasziver Elfchen entdeckt, die speziell Manga-Fans entzücken dürften:


Kokettes Elfchen (mit Freunden) in Greymouth



Ebenfalls in Greymouth:
Ein Zahnarzt setzt auf Comic-Humor


(Husch, husch, wieder überspringe ich einiges.)

Wanaka ist da schon ein ganz anderer Schnack: Eine hübsche kleine Stadt in der Mitte der Südinsel, idyllisch am Ufer des Lake Wanaka gelegen, trotz vieler Touris erstaunlich entspannt und entspannend. Ähnlich wie im benachbarten größeren Queenstown können Thrillseeker hier alle möglichen Adrenalin-Aktivitäten buchen, von Bungee bis Rafting.

Mich interessierte freilich eher das lokale Kinoangebot: Das "Cinema Paradiso" erkläre ich mal forsch zum besten Lichtspielhaus der Welt. Die Sitzreihen bestehen größtenteils aus Sofas und Sesseln, die von Nachbarn gespendet wurden, darunter zwei Sitze aus einem chinesischen Flugzeug. Autokino-Fans könne sich in einen fest installierten Kleinwagen quetschen.


Autokino mal anders:
das "Cinema Paradiso" in Wanaka


An der Theke im angeschlossenen Restaurant servieren die Betreiber u. a. hausgebackene Riesen-Cookies und selbst kreierte Eissorten ("Caipirinha mit Lakritz"), die man natürlich auch in der Pause kaufen kann, von der hier jeder Film unterbrochen wird.

Jetzt drücke ich wirklich mal auf "Schneller Vorlauf", denn in den folgenden Wochen (ein bisschen Wandern hier, ein bisschen Sightseeing dort, ein bisschen Schlemmen anderswo) sprachen nur wenige Sinneseindrücke die Nerd-Neuronen in meinem Kopf an. Dieses Wenige sei hier als kurzer – öhm – Fotoessay wiedergegeben:


Der "Mann aus Stahl" als Kinder(?)zimmer-Accessoire
in Queenstown



Klonkreuzung von Superman und Borat in Invercargill
(Hey, DC-Bosse, das wäre mal 'ne Storyline!)



In Dunedin feiert man das "50 Jahre Schlümpfe"-Jubiläum
mit eigenwilligen Glibberplakaten.


Womit wir denn in Dunedin angekommen wären, dem letzten Ort meiner Reise. In Dunedin steppt vielleicht nicht der Bär, aber er wippt zumindest im Takt mit. Vornehmlich von schottischen Siedlern aufgebaut, sieht sich die Stadt als das Edinburgh der Südhalbkugel. Entsprechend ist bereits der Stadtname Dunedin die gälische Version von Edinburgh. Man findet hier sogar Kilt-Schneidereien und Läden mit Andenken aus Schottland. Auch Edingburghs berühmtes "Fringe Festival" hat man übernommen. Tatsächlich lief es gerade, als ich dort war, doch leider erlebte ich nur die eher peinlichen Aspekte solcher Kleinkunstfestivals: Junge Menschen in Verkleidung quatschten auf der Straße Leute an, kostümiert u. a. als "Katze mit Hut" aus dem Kinderbuch von Dr. Seuss. Gruselig.

Apropos: Ebenfalls von den britischen Inseln übernommen hat man in Dunedin die Idee der "Ghost Tours". Führer in altertümlicher Tracht geleiten Besucher des Abends durch dunkle Gassen und Hinterhöfe und berichten von dort angeblich herumspukenden Gespenstern. Nun, das sind seltsame Zeitvertreibe, die auch mir gefallen. Anderen offenbar weniger, denn am Abend vor meiner Abreise dackelte ich dann allein mit meinem Führer durch die Nacht.

Der als viktorianischer Nachtwächter (oder so) gewandete Guide entpuppte sich als beredter Kunststudent mit Schauspielambitionen, zudem als Kinofreak, mit dem ich während der etwa anderthalbstündigen Tour ausführlich über Filme und Fernsehserien quatschen konnte. Dazwischen gab es dann wilde Geschichten über verschmähte Bräute, die Selbstmord begingen, und schwarze Hunde, die Unglück bringen. Nur so viel: Ich erfuhr, dass es in dem Hotel, in dem ich die vorletzte Nacht verbracht hatte, spuken soll (ach, Leute, mir sagt ja echt keiner was!) und dass auch im "Rialto Cinema", das ich am nächsten Morgen besuchen wollte, Geister umgingen, und zwar die einstigen Stammgäste einer Burlesque-Show, die hier bei Privatvorführungen im Separee ihr Leben ausgehaucht haben sollen.


Das "sixtinische" Foyer von Dunedins "Rialto Cinema",
das außer Filmfans auch Phantome anzieht


Angeblich behinderten die Verblichenen in den 90ern mit Spukeinlagen den Umbau des Etablissements in ein Nobelrestaurant und sorgten dafür, dass die letztlich doch eröffnete Gaststätte pleite ging. Die anschließende Umwandlung in ein schick ausstaffiertes Kino hingegen sollen die Geister begrüßt haben, wahrscheinlich,weil es endlich wieder was zu gucken gab. Das Kino ist übrigens, ob mit oder ohne Spuk, wirklich sehr schön und lohnt den Besuch, egal was gerade läuft (wobei ich für mein Teil mit "Gone Baby Gone" sehr zufrieden war).

Dunedin war die einzige Stadt, in der ich in den Gelben Seiten das Stichwort "Comics" nachschlug. Tatsächlich fand ich einen Shop – hinter dessen Namen freilich nur eine Internetadresse angegeben war. Sehr seltsam. Bibliophilen Nerds möchte ich dennoch den lokalen "University Bookstore" ans Herz legen: ein wunderbarer Laden am Rande des Campus, mit einer formidablen Auswahl an Werken zu Musik, Literatur und Bildenden Künsten.

Bücher über Comics habe ich leider kaum entdeckt, dafür allerdings so schräges Zeug wie einen gefaketen Katalog1 des Versandhauses "Acme", das vor allem Fans der klassischen "Roadrunner"-Zeichentrickfilme ein Begriff sein dürfte.

Zum Abschluss kehre ich noch einmal nach Oamaru zurück, jene Kleinstadt nördlich Dunedins, die ich in Teil 1 als Ausgangspunkt benutzt habe. Oamaru ist berühmt für seine Zwergpinguinkolonie und sein historisches Viertel, dessen viktorianische Gebäude aus dem hellen, direkt vor Ort abgebauten Kalkstein (limestone) errichtet wurden. Für mich war dieses heimelige Nest (zur Übernachtung empfehle ich das fast schon zu schnuckelige "Red Kettle"-Hostel) aber noch aus einem anderen Grund interessant: Obwohl man hier kaum Comics findet, hat die Stadt selbst etwas seltsam Comic-haftes.


Allein schon die Pinguin-Statue im Stadtzentrum. Man könnte meinen, Oswald "The Penguin" Cobblepot hielte sich hier als Provinzbürgermeister vor Batman versteckt.



Und erinnern die Dekors der lokalen Theatertruppe "Living History Players" nicht an die "Kin-der-Kids"-Sonntagsseiten des Comic-Pioniers und Expressionisten Lyonel Feininger?




Als Anziehpuppen-Postkarte gab's in einem Krimskrams- und Bonbonladen dieses Army-Bärchen. (Der perfekte Urlaubsgruß für deine friedensbewegte Ex-Kindergärtnerin!)




Die seltsamste Entdeckung machte ich allerdings in einem der beiden örtlichen Antiquariate: Zu einem Spottpreis konnte ich dort eine gut erhaltene Faksimile-Ausgabe des Skizzen-Tagebuchs2 von Charles Altamont Doyle (1832–1893) ergattern. Offen gesagt: Ich hatte von dem Mann vorher noch nie gehört, entnahm aber dem Klappentext, dass es sich um den Vater von Arthur Conan Doyle handelte, dessen "Sherlock Holmes"-Geschichten ich sehr schätze.

Charles Altamont Doyle, ein semi-talentierter Maler und Illustrator, verbrachte die letzten Jahre seines Lebens im "Irrenhaus", worüber der Rest der Familie wenige Worte verlor. Im "Montrose Royal Lunatic Asylum" schuf Doyle sen. 1889 zahlreiche Illustrationen wie die hier abgebildete:




Doyle wollte mit diesen Zeichnungen übrigens beweisen, dass er nicht geisteskrank sei.

Dies misslang jedoch.



1) Charles Carney/Scott Gross (Illustr.): The ACME Catalog. Quality is Our #1 Dream, San Francisco 2006.

2) Michael Baker (Hrsg.): The Doyle Diary – The Last Great Conan Doyle Mystery: With a Holmesian Investigation Into the Strange and Curious Case of Charles Altamont Doyle, New York/London 1978.