Montag, 28. April 2008
Neurotisch durch Neuseeland (Teil 2 von 3)

(Fortsetzung von Teil 1)

So, nun isses aber gut!

Nachdem ich jetzt 14 Tage lang Fotos gesichtet und herumgegrübelt habe, wie ich meine Neuseelandreise hier am besten rekapituliere, teile ich die Chose jetzt mal hübsch ordentlich auf: In diesem Blog werde ich nur meine Impressionen als Comic-Nerd referieren und mit entsprechenden Fotos illustrieren. Alles sonstigen Reiseeindrücke aus Mittelerde aber gibt’s demnächst chronologisch kommentiert chez "Flickr". Mehr dazu in Kürze.

Natürlich bin ich nicht der Comics wegen nach Neuseeland gereist, sondern um mir ein bisschen die Beine zu vertreten. Gleichwohl hätte ich im Heimatland von Dylan Horrocks deutlich mehr Comic- Begeisterung erwartet; Horrocks' Meta-Comic "Hicksville" gilt als Klassiker der Graphic Novel. Von Horrocks' Oeuvre habe ich in Neuseeland freilich nichts zu Gesicht bekommen. Auch sonst scheinen Comics dort im öffentlichen Leben eine noch weit geringere Rolle zu spielen als bei uns. Ich zumindest habe nur wenige Comics und ebenso wenige Comic-Referenzen erspäht. Andererseits: ich war zwar sieben Wochen dort, aber auch halt nur sieben Wochen.

Eine kurze Internetsuche fördert zwar nicht viele, aber doch diverse neuseeländische Comic-Läden zutage. Bei meinen Streifzügen ohne vorhergehende Recherche bin ich leider nur auf einen richtigen Comic-Shop gestoßen, immerhin einen guten:


Neuseeländischer Comic-Tempel
mit belgischem Phallussymbol:
das "Graphic"


Das "Graphic" in Wellington (106 Cuba Mall) bietet eine üppige Mischung aus englischsprachigem Indie- und Mainstream-Stoff, aber auch einige übersetzte Euro-Klassiker wie "Tim und Struppi". Zwar sind die Comics mehr oder weniger nach Verlagen geordnet, da in den Regalen dennoch ziemliches Chaos herrscht, empfehle ich Besuchern, Zeit mitzubringen, um den ganzen schlauchförmigen Laden durchzukämmen. Ich habe dort u. a. eine Erstausgabe von Alan Moores "Top 10" entdeckt (für laue zehn New Zealand Dollar, also etwa sechs Euro!), außerdem ein Tell-All-Memoirenbändchen des britischen Kultzeichners Bryan Talbot (im Puff mit Hugo Pratt usw.) und eine Sammlung der Polit-Cartoons von Avantgarde- und "Mad"-Künstler Peter Kuper.

Neben dem "Graphic" hat das nach Kiwi-Maßstäben geradezu berauschend kosmopolitische und kunstbesessene Wellington dem Popkultur-Freund auch sonst einiges zu bieten.

Etwa die gruselige Tripod-Skulptur am Courtenay Square, die Peter Jacksons Effektstudio Weta im Auftrag der Stadt gestaltet hat, um der neuseeländischen Filmindustrie ein Denkmal zu setzen.


From the people who brought you "Lord of the Rings":
Wellingtons Tripod-Skulptur


Wer Comics liebt, es aber auch ein bisschen artsy-fartsy mag, muss vom "Graphic" aus nicht lange laufen: Das "Pop Up" (57 Ghuznee Street) ist zugleich Gallerie und Shop. Neben drolligen Drucken finden sich hier auch poppige Toys für den erwachsenen Sammler.


Alles so schön bunt und teuer hier:
das kleine, aber aufregende "Pop Up"


Selbst in Wellingtons honoriger "Art Gallery" findet man Comic-Kunst: Im Rahmen einer Wanderausstellung der "Jim Barr and Mary Barr Collection" aus Dunedin war gerade Ronnie Van Houts sarkastische Sprechblasenskulptur "I Guess I Lose" zu besichtigen – wohl einer der wenigen echten 3-D-Comics.


Sprechblasenkunst von Ronnie Van Hout
in Wellingtons "Art Gallery"


Einem Comic entsprungen sein könnte auch das Festival "World of WearableArt" ("WoW"), das einmal im Jahr in Wellington stattfindet. Schöne Frauen spazieren dann mit ausgeflippter Kunst am Leib über den Laufsteg. Nun habe ich von Mode keinen Dunst (was jeder bestätigen kann, der mich mal gesehen hat), aber allein schon das Titelmotiv der Werbebroschüre überzeugte mich vom extremen Unterhaltungswert des Festivals, dass leider erst im September und Oktober wieder stattfinden wird:


Echt schaf: die Awards Show der "World of WearableArt"
(Titelbild der Anmacherbroschüre 2008:
"Rattle Your Dags*" von Paula Coulthard & Ursula Dixon)

(* "Dags" sind im Kiwi-Englischen übrigens die "bekleckerten" Hinterteile von Schafen)


In Nelson auf der Südinsel (wo das Festival früher stattfand) gibt es ein "WoW"-Museum, dass die Beiträge früherer Festivals ausstellt, aber leider lag das nun gar nicht auf meiner Route.

(Für noch-bei-Mutter-wohnende Nerds, die so was "schwul" finden: Einige der "WearableArt"- Designer haben an "Lord of the Rings" mitgearbeitet. Und jetzt: Schnauze!)

Im Gegensatz zu Comic-Fans werden Cineasten in Neuseeland übrigens verwöhnt.


Im "Embassy"-Kino (10 Kent Terrace)
gibt's schon vor dem Film viel zu sehen


In Wellingtons wunderschön restauriertem "Embassy"-Kino fand im Dezember 2003 die Weltpremiere von "Lord of the Rings: The Return of the King" statt. Wenn man wenige Dollar mehr für einen "Platinum Seat" hinlegt, darf man in edlen Lesersesseln Platz nehmen. Einem Messingschildchen an der linken Lehne kann man dann entnehmen, welcher Ehrengast hier bei der Premiere gesessen hat. Als ich dort "No Country For Old Men" sah, saß ich im Sessel von Hugo Weaving alias Elrond alias Agent Smith aus den "Matrix"-Filmen. Cooo-el!

Nicht so cool war leider meine voreilige Reiseplanung: In dem barocken Kino fanden nämlich auch Autorenlesungen statt, u. a. sollte dort drei Tage später der "Doonesbury"-Autor Garry Trudeau auftreten – leider an dem Tag, für den ich bereits voreilig die Fähre auf die Südinsel gebucht hatte...

[Fortsetzung in Teil 3]