Donnerstag, 29. April 2010
Kinder, Kinder!
Zur Comic-Verfilmung "Kick-Ass" von Matthew Vaughn


"If man will strike, strike through the mask!"

Melville: Moby-Dick


Ultraviole(n)t: Hit-Girl erklärt ihren Standpunkt


"Kick-Ass" ist einer jener wunderbaren Filme, über die sich jeder, aber auch wirklich jeder aufregen kann. Die Tugendschützer darüber, dass sich darin ein elfjähriges Mädchen (gespielt von einer Zwölfjährigen) im Mini-Playback-Show-Kostüm durch Heerscharen von Gangstern metzelt und dabei auch noch Ferkelkram flucht. Die Comic-Geeks darüber, dass Regisseur Matthew Vaughn und Co-Autorin Jane Goldman im Drehbuch freundlicher mit ihrer Hauptfigur, dem Möchtegern-Superhelden Kick-Ass, umspringen als Mark Millar und John Romita, Jr. in der Comic-Vorlage. Und die Klatschfreunde darüber, dass Kick-Ass-Darsteller Aaron Johnson seiner 23 Jahre älteren Regisseursfreundin ein Kind gemacht hat.

Viel aufregender ist freilich, dass Matthew Vaughn, der Mann von Claudia Schiffer, eben nicht nur der Mann von Claudia Schiffer ist, sondern auch einer der derzeit interessantesten Regisseure. Mit der Gangsterballade "Layer Cake", dem Märchen "Der Sternwanderer" und nun dem Superheldenfilm "Kick-Ass" hat er drei Werke abgeliefert hat, die ihrem Genre zugleich Ehre machen und über dessen Tellerrand blicken. Weil sich kein Studio-Dickschiff für die wüste "Kick-Ass"-Story interessierte, produzierte Vaughn den Film als vergleichsweise preiswerte Indie-Nummer. Die fängt Millars aggressiven Witz nun um Längen besser ein als die teure Hollywood-Adaption "Wanted" von 2008 – und hat auch noch die bessere Action zu bieten.

Das Aufregendste an "Kick-Ass" ist allerdings, dass Millar und Vaughn die Superhelden endlich ins Internetzeitalter holen. Nicht ohne Grund haben sich die Übermenschen lange geziert: In einer Welt, in der MySpace- und Facebook-Auftritte, Blogs und Tweets fast so wichtig sind wie Familie, Beziehung und Job, sind Superhelden nur noch scheinbar etwas Besonderes. Wo Identität zum großen Teil virtuell definiert und kaum nachprüfbar ist, ist es nur noch ein kleiner Schritt zur fiktiven Superkraft. Zugegeben: Während sich für Avatare und Alter egos beinahe unendliche Möglichkeiten auftun, sind die realen ökonomischen Möglichkeiten zunehmend eingeschränkt. Das allerdings gilt für den durchschnittlichen Web-User ebenso wie für einen gewissen Peter Parker.

"Kick-Ass" zeigt, satirisch zugespitzt, wie die Simulation der Realität auf die Realität zurückwirkt. Im Mittelpunkt steht dabei Dave Lizewski, Comic-Fan, High-School-Stoffel und praktischer Philosoph. Ausgehend von der Frage "Warum gibt es keine echten Superhelden?" beschließt er, der erste echte Superheld zu sein. Im grünen Taucheranzug, mit zwei Bleirohren als Waffe, streift der Teenager durch New York, um das Verbrechen zu bekämpfen. Nach dem ersten Einsatz und einem längeren Krankenhausaufenthalt wird er tatsächlich zur Zivilcourage-Ikone. Doch anders als jene Fans, die ihn nur aus YouTube-Videos und von seiner MySpace-Seite als Superheld Kick-Ass kennen, weiß Dave inzwischen die Antwort auf seine Frage: Echte Superhelden scheitern in der Realität grundsätzlich daran, dass echte Kriminelle nicht lange über Welteroberungspläne oder die Einsamkeit an der Spitze schwafeln, sondern sofort schießen, schlagen oder zustechen. Daraus folgt leider: Echte erfolgreiche Superhelden würden wohl ähnlich brutal und skrupellos vorgehen wie ihre Gegner und deshalb – selbst im Kostüm – jede Öffentlichkeit meiden.

Damit's interessanter wird, pfeift "Kick-Ass" auf den Konjunktiv und lässt Dave auf zwei derartige Superhelden treffen. Die elfjährige Halbwaise Hit-Girl (Chloë Moretz) ist eine fleischgewordene Rachefantasie ihres Vaters, eines traumatisierten Ex-Polizisten und Comic-Zeichners. Dieser "Big Daddy" (Nicolas Cage) hat seine Tochter von Babybeinen an zur Martial-Arts-Expertin und lebenden Comic-Figur erzogen. Die Mini-Kampfmaschine kann Waffendaten herunterbeten wie andere Kinder ihres Alters Miley-Cyrus-Songtexte. In einer der härtesten Szenen des Films prügelt der Pate Frank D'Amico (Mark Strong) buchstäblich das Kind aus der Superheldin heraus – kurz nachdem sich das kleine Mädchen, das eine Superheldin ist, als kleines Mädchen getarnt in sein Hauptquartier geschlichen hat. Die größte Heldentat von Dave Lizewski alias Kick-Ass wird es letztlich sein, das in Hit-Girl verborgene Kind in die Realität zu holen.

Ähnlich wie Dave erliegt Vaughns Film immer wieder der Faszination des bizarren Wunderwesens Hit-Girl. Einerseits experimentieren Drehbuch und Inszenierung in "Kick-Ass" elegant und methodisch mit Tabubrüchen: Darf man sich als bunt kostümierter Held auf die Straße wagen? Darf man ein Kind wie dreißig Bierkutscher fluchen lassen? Darf man zeigen, wie auf ein Kind geschossen wird? Und so weiter. Andererseits geht es bei diesen gezielten Verstößen gegen den "guten Geschmack" eher um Form denn um Inhalt. Was Punk sein möchte, ist doch eher Punk-Pop. Die Figuren mögen für Rache und Gerechtigkeit, um Leben und Tod kämpfen, den Filmemachern kommt es vor allem auf Style an. In den ins Groteske gesteigerten Kampfszenen läuft der Style buchstäblich Amok.

"Kick-Ass" setzt einen acquired taste voraus: Wer am postmodernen, zitatseligen Blutvergießen von "Kill Bill" und "Sin City" geschult ist, wird sich an Hit-Girls Schlachtfest delektieren, manch anderer Zuschauer wohl weniger. Allerdings gilt für Kinogänger dasselbe wie für Superhelden: Wer das Eingemachte unter der bunten Oberfläche erkennen will, der darf sich nicht so leicht erschrecken lassen.

 Story-Link





Montag, 2. März 2009
Eine bessere Welt
Zu Zack Snyders Film "Watchmen – Die Wächter"

"Stood in firelight,
swelterig bloodstain on chest
like map of violent new continent.“

Alan Moore/Dave Gibbons:
"Watchmen"

"I was closing in on this dope dealer
and I needed to take a leak.
By the time I'd got in and out of my costume,
he'd vanished.“

Alan Moore/Dave Gibbons:
"Watchmen"

Superheld Rorschach (Jackie Earle Haley) leuchtet
schlechten Comic-Verfilmern heim.



"Weil er da ist."

George Mallorys berühmte Reaktion auf die Frage, warum er denn unbedingt den Mount Everest erklimmen wolle, eignet sich auch als Antwort auf die Frage, warum Zack Snyders "Watchmen"-Film denn so großartig sei.

Nach all den verworfenen Konzepten, gescheiterten Finanzierungen und gefeuerten Regisseuren, nach all den furchtbaren bis halbgaren anderen Alan-Moore-Adaptionen, nach all dem Prozesstheater zwischen dem "Watchmen"-Verleih Warner Bros. und dem Alt-Rechteinhaber Fox: Wer sich auch nur ein bisschen für Comic oder Kino interessiert, dürfte zumindest ansatzweise mit all diesem Elend vertraut sein.

Und dann sitzt man im Kino und kneift sich, denn "Watchmen" ist ein absolut surreales Erlebnis.

Nicht, weil der Film von einer Welt erzählt, in der Superhelden mehr oder weniger alltäglich sind. Nicht, weil er in den aus heutiger Sicht ohnehin surrealen 80ern spielt, inklusive eines drohenden Atomkriegs zwischen USA und UdSSR. Nicht, weil hier dreizehn Jahre nach Watergate immer noch Richard Nixon das Weiße Haus besetzt hält, nachdem er dank Superhelden-Power in Vietnam gesiegt und einfach mal die Verfassung geändert hat. Und auch nicht, weil Nixon im Film mit einem Zinken wie Pinocchio herumläuft.

Nein, sondern weil eine adäquate filmische Adaption des Jahrhundert-Comics von Alan Moore und Dave Gibbons so lange ökonomisch und künstlerisch unmöglich schien. Und weil Zack Synders Film deshalb wirkt, als sei er aus einer anderen Dimension gefallen: einer Welt in der Comics zum Bildungs-Kanon gehören und in der niemand die Stirn runzelt, wenn sie sich mit kompliziertesten philosophischen Fragen befassen.

"Watchmen" ist die erste ernstzunehmende Alan-Moore-Verfilmung und zugleich der erste Film, der Alan Moore ernst nimmt. A priori erklärt Snyder hier jeden Kritiker zum Idioten, der behauptet, der Film erhebe sich über seine Vorlage. Zugegeben: Das hat Robert Rodriguez mit "Sin City" auch getan, allerdings ist "Watchmen" sehr viel mehr als ein style-besoffenes Sex-und-Gewalt-Märchen (not that there's anything wrong with that). Im Kern geht es hier um eine erstmals im antiken Griechenland gestellte Frage: Wenn allmächtige Wächter über das Recht wachen, wer überwacht dann die allmächtigen Wächter? Obwohl Snyders Film sechzehn Jahre vor 9/11 spielt, lässt er sich leicht als Kommentar zum "War on Terror" lesen.

Nun ist Mr. Snyders Adaption keinesweg perfekt. Zwei große Probleme trüben die Freude an dieser insgesamt gelungenen Umsetzung. Da ist zum einen die – pardon – Gewaltgeilheit. Snyder erlangte 2004 ersten Ruhm als Regisseur des gelungenen "Dawn of the Dead"-Remakes (ich kann mich gut daran erinnern, wie ich den Film in einem Londoner Kino sah und nach der pre title sequence mein Herz schlagen spürte ). Anschließend schuf Snyder mit der Verfilmung von Frank Millers ästhetisch durchaus bemerkenswertem Comic "300" einen Megahit – der aber leider aus Millers spartanisch-lakonischer Vorlage ein opulentes Schlachtfest machte, mit bescheuerten Monstern und einer noch bescheuerteren Sandalenfilm-Nebenhandlung.

Bei "Watchmen" verhindert Alan Moores umfangreiches und komplexes Szenario, aber auch die Oscar-würdige Finesse der Drehbuchautoren David Hayter ("X-Men 1 + 2") und Alex Tse solchen Unfug: Hier galt es zu kürzen, nicht auszuschmücken. Dennoch hatte Snyder offenbar immer noch seine blutrünstigen Spartaner im Hinterkopf. Zwar geht es in Ordnung, dass er die Superhelden mit übermenschlicher Wut und Wucht kämpfen lässt, statt sie wie Moore fast nur verbal streiten zu lassen. Auch dass er die Brutalität des Comic-Gefängnisaufstands auf Splatterfilm-Niveau hochschraubt, ist legitim: Diese Szenen funktionieren tatsächlich besser als in der Vorlage. Problematisch wird es aber, wenn sich die Kamera an einer coolen Keilerei mit Straßenräubern ebenso delektiert wie an der Ermordung des Comedian und der Vergewaltigung von Silk Spectre I. – oder soll genau diese stilistische Gleichsetzung nachdenklich stimmen? Sie tut es in jedem Fall.

Das zweite große Problem ist zugleich die größte Qualität dieser Comic-Verfilmung: Die Macher nähern sich der Vorlage, wie sich Gläubige einem religiösen Urtext nähern. Beim Drehbuch funktioniert das fabelhaft: Hayter und Tse entfernen Nebenhandlungen mit viel Feingefühl und hinterlassen kein taubes Gewebe. Und natürlich zeugt es von Chuzpe, dass Snyder gegenüber den Bedenkenträgern des Studios darauf bestand, immer wieder den blauen Schniedel des Übermenschen Dr. Manhattan zu zeigen, dass die Helden Rorschach und Comedian noch psychotischer und gefährlicher wirken als im Comic (auch wenn Rorschachs latenter Frauenhass eliminiert wurde) und dass der Regisseur von vornherein auf eine kommerziell mutige Ab-18-Freigabe hinarbeitete.

Oft allerdings laden die durchgestylten, sinnschweren Bilder zum Verweilen ein, statt sich in den Fluss des Films zu fügen. Und: Beim Ensemble scheint Snyder zu viel Überzeugungsarbeit geleistet zu haben, denn seine Darsteller tragen streckenweise schwer, allzu schwer unter der literaturhistorischen Last der Vorlage. Speziell Malin Ackerman als Silk Spectre II., Patrick Wilson als Nite Owl II. und die von mir ansonsten sehr geschätzte "Spy Kids"-Mama Carla Gugino als Silk Spectre I. schauspielern mitunter arg.

Hier fällt "Watchmen" tatsächlich hinter die willkommene milde Selbstironie von "Iron Man" oder "Spider-Man" zurück und erst recht hinter den klugen Sarkasmus von Moores Szenario. Dass die Darsteller nicht stärker mit ihren Rollen verschmelzen, ist um so bedauerlicher, als Snyder bewusst nur TV- und Kino-Akteure aus der zweiten Reihe besetzt hat, damit keine bekannten Gesichter von der Geschichte ablenken.

Unabhängig von der Bekanntheit ihres Namens oder Gesichts schlagen sich einige Darsteller aber durchaus gut: Billy Crudup ("Almost Famous") als entrückter CGI-Nackedei Dr. Manhattan, Jackie Earle Haley ("Little Children") als rotsehender Schwarz-Weiß-Maskenmann Rorschach, Matthew Goode ("Matchpoint") als femininer, hyperintelligenter Ozymandias (eine Art Superhelden-Oscar-Wilde – im Film, nicht im Comic) und vor allem Serienstar Jeffrey Dean Morgan ("Grey's Anatomy", "Weeds") als charismatisches Schwein Comedian.

Am besten funktioniert "Watchmen" dort, wo Snyder das Filmische der Vorlage in pures Kino umsetzt. Zentrales Bild des Films ist die Tintenklecks-Maske des Selbstjustiz-Freaks Rorschach: die scharf voneinander abgegrenzten Schwarz-und-Weiß-Flächen, die sich aber ständig wandeln und verschieben. Moore und Gibbons' geniales Sinnbild für moralische Ambivalenz hat geradezu auf sein Kinodebüt gewartet, nun endlich darf es sich und uns bewegen.

Kinetische Kraft entlockt Snyder auch Moores Motiv des Uhrwerks: Du magst die Welt zerstören und neu zusammensetzen, letztlich läuft höchstwahrscheinlich doch wieder alles in alten Bahnen.

Die größte Freiheit nimmt sich der Film bei den legendären Meta-Aspekten der Vorlage heraus: Die fingierten Auszüge aus dem "klassischen" Piraten-Comic "Tales of the Black Freighter" fehlen komplett. Eine verständliche Entscheidung, denn diese Ebene hätte Snyders ohnehin forderndes Zweieinhalb-Stunden-Epos jeglicher Chancen an der Kinokasse beraubt.

Auch das in Nerd-Kreisen ja längst heiß diskutierte veränderte Finale ergibt Sinn. Das Original-Ende war visuell deutlich wuchtiger und verstörender, allerdings auch stark in den Meta-Pulp-Kontext von Moores Szenario eingebunden – und hätte deshalb im Kino bestenfalls halb so gut schockiert, schlimmstenfalls für Erheiterung gesorgt. (Auf DVD sollen die "Black Freighter"-Szenen wieder in die Handlung integriert werden – eine Idee, die vielleicht besser klingt, als sie ist.)

Statt dessen erschafft der Film nun seine eigene, weit weniger ausgefeilte, aber sehr unterhaltsame Meta-Ebene. Etwa durch eine hinreißende Parodie auf das legendäre Victory-Day-Kuss-Foto oder eine bösartige Randnotiz zum Kennedy-Attentat. Mit subversivem Biss führen Snyder & Co. hier die Manipulierbarkeit von "Historie" vor. Zugleich spielt der Film dabei ironisch auf Alan Moores ethische Frage an, ob es eine "gute" Manipulation geben kann.

"Watchmen"-Autor Moore erklärte ja bereits vor Monaten, dass ihn Zack Snyders Adaption einen feuchten Kehricht interessiere. Dabei könnte Moore eigentlich zufrieden sein. Nicht unbedingt mit dem Film, aber mit dem, was er selbst 1986 angestoßen hat und was sich nun im Kino manifestiert. Hey, wenn Hollywood-Geldsäcke und Ex-Werbefilmer lernen können, dass manche Comics ganz große Kunst sind, dann kann es doch eigentlich jeder kapieren, oder?

Hoffen wir, dass das Ding nicht floppt.

 Story-Link





Freitag, 5. September 2008
"Heiliges post-postmodernes Superheldenkino, Batman!"

Nach gefühlten hundert Wochen habe ich's am Donnerstagabend endlich ins Kino geschafft und mir "The Dark Knight" angesehen.

Da klügere Leute als ich bereits gefühlte tausend Kritiken zu Christopher Nolans Film veröffentlicht haben, beschränke ich mich an dieser Stelle auf zehn Impressionen:

  1. Mein absoluter Lieblings-Gag: [...]

    [Weiterlesen?]

 Story-Link





Dienstag, 15. Mai 2007
Mutanten-Musical
Warum "Spider-Man 3" gar nicht so schlecht ist
Okay, ich geb's zu: Ich habe mich bei "Spider-Man 3" blendend amüsiert. Damit gehöre ich zu einer Minderheit (hey, das wollte ich schon immer mal ausprobieren!), denn Sam Raimis Film schlägt in Internet und Presse mehr Feindseligkeit entgegen als dem nun wirklich misslungenen "X-Men – Der letzte Widerstand". Das wurmt mich, denn trotz seines Riesenbudgets (angeblich 258 Mio. Dollar) ist "Spider-Man" immer noch weit von herzlosem Kommerz entfernt. Deshalb gestatte man mir, auch wenn seit dem deutschen Kinostart schon 15 Tage verstrichen sind, ein kleines Plädoyer. [...]

[Weiterlesen?]

 Story-Link