Donnerstag, 1. November 2007
Wer watscht die Wächter ab?
"The Boys [Bd. 1]: Spielverderber" von Garth Ennis


Superheld A-Train hat sich verlaufen.
Na, warte, wenn dich die Jungs erwischen!
Aus: "The Boys [Bd. 1]: Spielverderber"

(© 2006 Spitfire Productions, Ltd. and Darick Robertson;
dt. Ausg.: © 2007 Panini Verlags-GmbH)


"Quis custodiet ipsos custodes?", fragte der römische Satiriker Juvenal vor etwa 2000 Jahren, was so viel wie "Wer überwacht die Wächter?" bedeutet, aber auch unter deutschen Comic-Freunden eher in der englischen Variante bekannt ist: "Who watches the watchmen?"

In Alan Moores '86er Comic-Klassiker "Watchmen" (über eine Parallelwelt, in der Superhelden wirklich existieren) taucht diese Frage immer wieder als Graffito auf Hausmauern auf. Moore geht es letztlich um das Problem der Kontrolle absoluter Macht, und er impliziert dieselbe Antwort, die bereits 400 Jahre vor dem alten Römer Juvenal der alte Grieche Platon in seiner Staatslehre gab: Nur allmächtige Wächter könnten allmächtige Wächter in ihre Schranken weisen.

Aber ach, wie schwierig und paradox das klingt! Da lob ich mir doch die im Herbst 2006 gestartete neue Serie von "Preacher"-Autor Garth Ennis und "Transmetropolitan"-Zeichner Darick Robertson. Who watches the watchmen? Die mit Bierfahne und kerligem Gelächter gebrüllte Antwort lautet dort ganz einfach: "The Boys!"

Angeführt von dem bulligen Briten Billy Butcher überwacht das Quintett im Auftrag der CIA die vermeintlich allmächtigen Superhelden und stutzt sie bei Bedarf nur allzu gern auf handliches Format zurecht. Was gar nicht so schwer ist. Denn erstens haben die meisten Superhelden dieses Paralleluniversums außer Prügeleien mit Superschurken nur Werbeverträge, Drogen und harten Sex im Kopf.

Und zweitens verfügen die "Boys", deren brutalstes Mitglied ausgerechnet "das Weibchen" ist, selbst über Superkräfte.

Womit wir wieder bei Platons und Moores Paradoxon wären: Wächter überwachen Wächter. Dieses vertrackte Problem scheint Ennis bislang nicht aufgefallen zu sein. Darüber könnte man sich glatt ärgern, würde man sich bei "The Boys" nicht so großartig amüsieren.

Nun, das habe zumindest ich getan – wenn auch wider Erwarten. Als ich hörte, Garth Ennis habe diese Serie erschaffen, um seine legendär schwarzhumorige Religionssatire "Preacher" zu "über-preachern" ("to out-Preacher 'Preacher' ", wie er auf der "Mania"-Website zitiert wird), da hatte ich schon puren Splatter-Quatsch befürchtet. Tatsächlich schwelgen "They Boys" in grotesk übersteigerter Brutalität – auch bei der Libido der Übermenschen. (Was die "Boys" im letzten Kapitel von Band 1 in der Hose eines Superhelden entdecken, will ich hier nicht einmal andeuten.)

Zur Komik des Comics gehören allerdings auch die rotzigen Dialoge und die satirischen Anspielungen auf den DC-Comic-Kosmos. So zählt zu den schlimmsten Perverslingen etwa der "Homelander", Ennis Parodie auf "Superman". Zu dessen "Justice League"-ähnlichen Team gehören u. a. Jack from Jupiter, eine Vergackeierung des Martian Manhunter, und das Aquaman-Pendant "The Deep", der ständig in einem antiquierten, viel zu großen Taucheranzug herumläuft und offenbar nach dem trashigen 70er-Jahre-Film benannt ist (von dem nur Jacqueline Bissets nasses T-Shirt in Erinnerung blieb).

Zum Anti-Establishment-Tonfall des Szenarios passen auch die detailreichen, aber nie so ganz perfekten Zeichnungen von Darick Robertson: "The Boys" sieht eher aus wie ein Underground- denn wie ein Superhelden-Comic. (Die Digitalkolorierung mit ihren matschigen Lichteffekten allerdings ist streckenweise schlicht schlecht.)

Philosophie wie in Moores "Watchmen" steht hier nicht auf dem Programm, und unvergessliche Charaktere wie in Ennis' eigener Serie "Preacher" wird man hier wohl auch nicht finden. Ennis und Robertson schwelgen in Schweinereien und übersteigern die Gewalt so sehr, dass sie ins Groteske kippt und zum Lachen reizt.

Im Verlagshaus DC kam dieser "South Park"-Touch freilich nicht so gut an, zumal die "Boys"-Schöpfer speziell DC-Helden wie Superman mit beißendem Spott überziehen und deren Pendants sogar als Totschläger und Sexualverbrecher darstellen. Nach nur sechs von zehn in Auftrag gegebenen Heften wurde die mit viel Werberummel unter dem – ohnehin etwas wilderen – "Wildstorm"-Label gestartete Serie im Februar 2007 von DC eingestellt.

Immerhin gab der Verlag die Serie rasch frei, so dass Ennis und Robertson sich nach einer neuen Heimat umsehen konnten. Seit Mai 2007 toben sich "The Boys" jetzt beim Verlag Dynamite Entertainment aus, der sein Geld zuvor nur mit Comic-Adaptionen von Sci-Fi ("Battlestar Galactica") und Fantasy ("Red Sonja") aus der zweiten Reihe verdiente.

Insgesamt sind in den USA bislang elf Hefte/Kapitel erschienen. Die ersten sechs, bei Dynamite im Sammelband "The Name of the Game" vereinigt, hat Panini im September auf deutsch unter dem Titel "The Boys: Spielverderber" vorgelegt. Leider fehlt darin das US-Vorwort von "Shaun of the Dead"-Star Simon Pegg, der als Vorbild für die Figur des schottischen "Boys"-Neuzugangs Wee Hughie gilt. Spaß macht der deutsche Band trotzdem, nicht zuletzt dank der knackig sarkastischen Übersetzung von Bernd Kronsbein.



"The Boys [Bd. 1]: Spielverderber"
Text: Garth Ennis; dt. v. Bernd Kronsbein;
Grafik: Darick Robertson
Panini 2007; 144 Seiten, 16,95 Euro.