Montag, 30. Juli 2007
Grüße aus der Zone
"DMZ: Abgestürzt" von Brian Wood und Riccardo Burchielli


Ein Praktikant im Niemandsland: DMZ-Besucher Matty Roth
(© 2006 Brian Wood and Riccardo Burchielli;
dt. Ausg.: © 2007 Panini Verlags-GmbH)


Okay, ich geb's zu: ich versteh's nicht. Wer erklärt mir, warum "DMZ" das neue heiße Ding sein soll?

"Wizard", das auf Superhelden-Fans fixierte, aber durchaus zurechnungsfähige US-Mainstream-Fachblatt, erklärt die Serie von Brian Wood und Riccardo Burchielli zum besten Comic, der dem DC-Label Vertigo seit "Y – The Last Man" und "Fables" gelungen sei. Die "New York Times "schließt sich exakt diesem Urteil an. (Wood hat es sich nicht nehmen lassen, einige dieser Lobeshymnen auf seiner Homepage zu veröffentlichen.)

Ich kenne und schätze "Y" und "Fables". Beides sind außergewöhnlich intelligent geplottete, ansprechend gezeichnete Serien mit faszinierenden Ensembles und einzigartiger Atmosphäre. Aber wer etwas Ähnliches lesen möchte, sollte lieber zu "Ex Machina" oder "100 Bullets" greifen, denn "DMZ" kann keiner dieser Serien das Wasser reichen. Zugegeben: "DMZ" ist kein schlechter Comic. Aber eben auch kein besonders guter.

Schade, denn die Serie, deren erster Band seit Juni bei Panini auf Deutsch vorliegt, arbeitet mit einer gewitzt subversiven Prämisse: In naher Zukunft bricht in den USA ein neuer Bürgerkrieg aus, und Manhattan, Ort der Handlung, wird zu einem zweiten Bagdad. In einem "Publishers Weekly"-Interview vom Oktober 2006 erklärt der Autor Brian Wood die Ursachen und Umständen seines fiktiven Konflikts wie folgt:

"Midwestern militia groups revolt against their local governments in protest of rampant U.S. adventurism overseas and, in the absence of the National Guard, are able to gain far more ground than they thought possible. Small insurgent groups pop up in towns and cities across the country, and a sizable force, the Free States Army, pushes toward Manhattan. The city proves too big for them to take, and also for the U.S. Army to defend. The war stalls there, a stalemate, neither side being able to shift things."

[Etwa: "Aus Protest gegen Washingtons zügellose Lust auf Abenteuer in Übersee begehren Bürgerwehren aus dem Mittleren Westen gegen ihre Gouverneure auf, und erobern, in Abwesenheit der Nationalgarde, weitaus größere Gebiete, als sie selbst für möglich gehalten haben. Kleine Rebellengruppen tauchen in kleineren wie größeren Städten überall im Land auf, und eine beträchtliche Streitmacht, die "Free States Army", stößt Richtung Manhattan vor. Das Stadtgebiet erweist sich als zu groß, um es einzunehmen, und – für die US Army - um es zu verteidigen. Hier kommt der Krieg zum Stillstand - eine Pattsituation, an der keine Seite etwas ändern kann."]
Der Titel ist pure Ironie: "DMZ" bedeutet "DeMilitarized Zone" und spielt in der so genannten "entmilitarisierten Zone" Manhattan. Die Bevölkerung der Insel im Herzen New Yorks ist in der seit fünf Jahren andauernden Auseinandersetzung allerdings um gut zwei Drittel auf 400.000 geschrumpft und wird von Milizen und Kriminellen beherrscht. Alle Eroberungsversuche der "Freien" wie der "Vereinigten Staaten" sind bislang an lokalen Aufständischen gescheitert.

Auf die Frage, weshalb die regulären US-Truppen Manhattan nicht längst unter Kontrolle gebracht hätten, antwortet Wood im selben Interview sarkastisch: "If they can't prevail over small towns in Iraq and Afghanistan, why would they be able to in a place like Manhattan?"

So weit, so clever. Der Auftakt der Geschichte ist ebenfalls gut ausgedacht: Matthew "Matty" Roth, ein Schnösel Anfang 20, will eigentlich nur ein "Fotografie-Praktikum" in "'nem Labor oder Büro oder so" absolvieren, doch dann sitzt er auch schon im Heli Richtung Manhattan, um dem Fotoreporter und Nobelpreisträger Viktor Ferguson zu assistieren. Ferguson soll für den Sender "Liberty News" als erster Journalist exklusive Berichte und Bilder aus Manhattan liefern. Dummerweise wird der Hubschrauber samt Ferguson und Militärbegleitung abgeschossen, und Matty findet sich verstört und allein auf der belagerten Insel wieder. Bald jedoch zeigt er waschechten amerikanischen Unternehmergeist und begreift die Katastrophe als Chance: Anstelle von Ferguson berichtet er nun selbst aus der Hölle.

Von hieran geht’s bergab. Nicht mit Matty, der durch seine Meldungen zum Medienstar aufsteigt, sondern mit Brian Woods Szenario. "DMZ" funktioniert zwar als Abenteuer, aber weder als Kriegsdrama noch als Mediensatire, obwohl es offenkundig gern beides wäre. Wood scheitert auf mehreren Ebenen, Hauptproblem ist aber, dass Matty zu keinem Zeitpunkt wirklich in Gefahr zu schweben scheint. Sicher, die Belagerer äschern gelegentlich mehrere Straßenzüge ein, um sie von Aufständischen zu "säubern", in einem provisorischen Krankenhaus sieht Matty verstümmelte Kinder, und ab und an gerät der Nachwuchsjournalist auch ins Visier von Heckenschützen. Dennoch glaube ich, dass die Bewohner Bagdads jederzeit überglücklich mit den Bewohnern der "DMZ" tauschen würden, denn jeder nüchterne Zeitungsbericht von dort vermittelt das Grauen, in einem Krisengebiet zu wohnen, besser als Woods Serie. Die US-Euphorie über die Serie scheint deshalb die Vermutung zu bestätigen, dass man jenseits des Atlantiks eine eher "knappe" Irak-Berichterstattung pflegt.

Der Fairness halber muss ich einräumen, dass Wood den Gewaltszenen wohl bewusst wenig Raum gibt, da er sich mehr für die Selbstheilungskräfte der Gesellschaft interessiert. Er schildert, wie sich in dem Chaos neue soziale Gruppen bilde: die Menschen organisieren sich, um zu überleben. In der besten Episode des ersten Bandes trifft Matty auf die ehemaligen Wärter des "Central Park Zoo", die durch den Bürgerkrieg zu einer Art Geisterstamm geworden sind, legendenumrankten Öko-Kriegern, die ihren Mikrokosmos beschützen.

Wood versucht, Kriegsklischees zu vermeiden. Gehaltvoll ist "DMZ" deshalb noch lange nicht. Die Trotzkopf-Attitüde des Protagonisten Matty nervt schnell und bessert sich auch im zweiten Band nicht wirklich. Die einzige andere Figur, der Wood auch nur einen Ansatz von Tiefe gewährt, ist die Sanitäterin Zee. Sie hilft dem Zonenneuling Matty, sich im Chaos zu akklimatisieren. Einmal abgesehen davon, dass Zee keine Kriegerin ist, entspricht sie komplett dem Stereotyp eine Amazone: üppig gepierct, die gebleichten Haare zu Rastazöpfen geknotet, gern bauchnabelfrei gewandet, der Gesichtausdruck stets ebenso grimmig wie die Attitüde. Immerhin erspart uns Wood – zumindest zunächst – eine Romanze zwischen der starken Frau und dem zaudernden Helden.

Alle weiteren Figuren, abgesehen vielleicht von den schon erwähnten Zoo-Kriegern, bleiben Schemen, die man schnell wieder vergisst. Und nicht nur den Figuren, auch der Handlung fehlt Komplexität. Prätentiös und geradezu absurd wirkt es, dass Mattys Berichte aus Manhattan immer wieder als "die Wahrheit" bezeichnet werden, das Gegenstück zu den angeblichen Lügen, die außerhalb Manhattans über den Sender gehen. Auf den Sender geht, dass wir von dieser Propaganda fast nichts zu Gesicht bekommen. Die Berichterstattung der "Vereinigten Staaten", die Wood im Comic widergibt, attackiert auch nicht die Rebellen von Manhattan, sondern die Armee der "Freien Staaten". Außerdem: Warum werden Mattys Berichte in den "Vereinigten Staaten" zum Quotenhit, wenn es gemäß Woods Logik eher im Interesse der dortigen Senderbosse liegen sollte, die Situation zu verharmlosen?

Nun, wie schon eingangs erwähnt, ist "DMZ" zwar keine außergewöhnlich gute, aber trotz allem auch keine schlechte Serie. Brian Wood besitzt nicht das prickelnde Erzähltalent und den abgründigen Witz eines Brian K. Vaughn ("Y – The Last Man"), geschweige denn das Genie eine Alan Moore ("V for Vendetta"). Dennoch liest sich "DMZ" recht spannend. Wood hält seinen Helden stets irgendwie auf Trab, notfalls indem er eine Rakete unter Mattys Hintern explodieren lässt. Seine knappen Dialoge bleiben zwar nicht im Gedächtnis, lesen sich aber flüssig.

Das beste an "DMZ" sind die Zeichnungen von Riccardo Burchielli, auch wenn er wohl für den Klischee-Look von Mattys Freundin Zee mitverantwortlich ist. Der Mann aus der Toskana, der hier sein US-Debüt gibt, pflegt einen detailfreudig-realistischen, manchmal aber auch frech karikierenden Stil, wie man ihn eher aus frankophonen Comics kennt. Burchielli versteht zudem etwas von Perspektive und hat deshalb keine Angst vor Totalen oder vor ungewöhnlichen Blickwinkeln. Seine Panels besitzen Tiefe und ziehen den Blick ins Bild. Actionszenen wirken deshalb aufregend plastisch. Darüberhinaus nutzt Burchielli geschickt speed lines im Manga-Stil.

Texter Wood zeichnet ebenfalls und zwar gut: Er ist für die spröden "DMZ"-Heftcover und die Nachrichtenbilder (von Matty und "Liberty News") verantwortlich. Den Kontrast zwischen seinen und Burchiellis Zeichnungen setzt Wood durchweg sinnvoll ein. Auch die Farbgebung von Jeromy Cox überzeugt. Besonders die vorletzte Episode im gerodeten, verschneiten Central Park und die nächtliche Verfolgungsjagd im letzten Kapitel sind sehr atmosphärisch koloriert.

Ein kleiner Ausblick: Band 2, "Body of a Journalist", soll im Dezember auf deutsch unter dem Titel "Zwischen den Fronten" erscheinen. Nach dem sehr episodischen ersten Band, "Abgestürzt", schafft Wood dort einen starken roten Faden, was der Story noch mehr Drive verleiht. Zudem etabliert er auch einige neue feste Figuren, etwa Mattys Vater, und verrät weitere Details über den Bürgerkrieg, was die Geschichte ein klein wenig komplexer macht.



DMZ [Bd. 1]: Abgestürzt
Text: Brian Wood; dt. v. Bernd Kronsbein;
Grafik: Riccardo Burchielli, Brian Wood, Jeromy Cox (Farben);
Panini 2007, 128 Seiten, 14,95 Euro.