Montag, 2. April 2007
Und wenn sie nicht gestorben sind,
dann legen sie sich um

Bill Willinghams Serie "Fables" (Teil 1 von 3)

"Somebody has been lying in my bed!"

Flora Annie Steel:
"English Fairy Tales:
The Story of the Three Bears"

Der rollige Reineke macht Schneewittchen fuchsig.
Aus: "Fables [2]: Animal Farm"

(©2002, 2003 Bill Willingham and DC Comics)


Nach dem ersten Band fand ich "Fables" witzig und hübsch, aber etwas fad. Nach dem zweiten entwickelte ich skeptische Sympathie. Nach dem dritten war ich heftig verliebt. Die Romanze hielt über drei weitere Bände an. Dann wurde, trotz schöner Momente, aus Leidenschaft Routine, und seit dem achten Band stellt sich mitunter Langeweile ein. Ich weiß nicht, wie es weitergeht, aber ich denke, "Fables" und ich, wir werden trotz allem Freunde bleiben.

Die US-Comic-Serie "Fables" handelt von Charakteren aus Märchen und andereren Populärmythen, die im New York des 21. Jahrhunderts leben. Einst von dem ominösen "Feind" (im Original: "the Adversary") aus dem Reich der Fantasie vertrieben, haben sich Schneewittchen, Blaubart, der große böse (Wer-)Wolf und viele andere inzwischen in Fabletown eingerichtet, einem Teil Manhattans, der durch Magie von der Neugier der mundies abgeschirmt ist (der "Fables"-Version von Harry Potters "Muggels", mit anderen Worten: wir). Fabelwesen, die keine menschliche Gestalt annehmen können, müssen vor den Toren New Yorks auf einer Farm leben.

Am 14. März 2007 ist "Animal Farm", der zweite Paperback-Band von "Fables", auf deutsch erschienen, entsprechend der Orwell-Anspielung natürlich als "Farm der Tiere". Der erste Band, "Legenden im Exil" ("Legends in Exile"), erschien bereits im November 2006. Neben positiven Besprechungen, u.a. bei Spiegel online und Splash Comics, stehen auch eher verwunderte Reaktionen auf die amerikanischen Vorschusslorbeeren. Obwohl ich mich ohne Zögern als "Fables"-Fan bezeichnen würde, kann ich diese Zurückhaltung verstehen, denn die Serie offenbart erst im zweiten Band ihren subversiven Charme.

Weil es zu "Fables" allerlei zu sagen gibt, splitte ich mein Porträt des Comics in mehrere Teile. Ich versuche, im Folgenden nicht zu viele Story-Details zu verraten. Wer die Serie ohnehin (weiter)lesen will und nicht einmal ansatzweise wissen möchte, was "als nächstes kommt", sollte aber vielleicht lieber sofort aus diesem Text aussteigen.

Es war einmal, genauer gesagt: im Juli 2002, als das erste "Fables"-Heft erschien – ein typischer Vertigo-Comic. Vertigo ist ein Label des Comic-Großverlags DC, bei dem es in etwa jene Funktion erfüllt, die in der Filmwelt Miramax einst bei Disney ausübte: ein Ableger, der sich an erwachsene, gern auch intellektuelle Konsumenten wendet und dabei haufenweise Preise absahnt – derweil das Mutterunternehmen eher den Markt für Kinder von 8 bis 88 bedient.

Wie bei fast allen Vertigo-Serien werden die größeren Handlungsbögen von "Fables" relativ rasch in Paperback-Sammlungen nachgedruckt. Wie bei fast allen Vertigo-Serien bestimmt ein einzelner Texter als spiritus rector über die Serie, in diesem Fall Bill Willingham, der alle Storys und Dialoge schreibt und auch den Look der Hauptcharaktere entworfen hat. Und wie fast alle Vertigo-Serien wendet sich "Fables" sowohl an langjährige Comic-Fans als auch an Liebhaber guter Genreliteratur im allgemeinen. Letzteres traf zuvor insbesondere auf "Sandman" von Neil Gaiman und "Preacher" von Garth Ennis zu, zwei Serien, die auch jenseits der Comic-Szene Wellen machten.

Die Paperback-Nachdrucke von "Fables" schaffen es unter die Top 10 der bestverkauften US-Comics, wo sich sonst vor allem Teenager-Manga und die unvermeidlichen "X-Men" tummeln. Die Washington Times lobt "Fables" wegen seiner "devilish twists on classic fairy tales" als "sheer joy for the mature sequential-art fan". Die Chicago Tribune glaubt: "Bill Willingham brilliantly breathed life back into storybook legends". Und Time Out findet die Serie einfach „funny, engaging; original, too".

[Fortsetzung in Teil 2]