Teil 1 von 4
Dieser Beitrag entstand anlässlich des
Blogkarnevals im Krimiblog
Zu anspruchsvoll für die ewig adoleszenten Superhelden-Fans, nicht anspruchsvoll genug für die Freunde der "Comic-Kunst": Obwohl das Angebot vielfältig und die Qualität oft exzellent ist, bleibt der Krimi-Comic ein Außenseiter-Genre. Eigenartig, denn kein Genre hat mich so selten enttäuscht, kein anderes hat mich auf so konstant hohem Niveau unterhalten.
Als Comic-Fanatiker hätte ich natürlich gute Lust, Ihnen hier einen kleinen (hüstel, hüstel) historischen Exkurs über die kriminelle Ader des Comics zu präsentieren: über den Kult um die Ganovenfiguren des frühen Zeitungs-Strip "Dick Tracy", über Batmans verlegerische Heimat "DC" alias "Detective Comics", über Will Eisners legendär innovative Stories um den Gangsterjäger "The Spirit", über die US-Jugendschutzdebatte der 50er, der schließlich alle crime comics zum Opfer fielen und natürlich darüber, wie Alan Moore mit "Watchmen" 1986 nicht nur das Genre neu begründete, sondern auch den ersten Superhelden-Krimi schuf, und wie Frank Miller die Sache mit "Sin City" dann ab 1991 erst so richtig in Schwung brachte.
Aber, nein, ich werde Sie nicht damit langweilen ;-)
Statt dessen habe ich eine Top-12-Liste jener Krimi-Comics erstellt, die mir am meisten am Herzen liegen. Ursprünglich sollte es natürlich eine "Top 10" sein, aber es fiel mir schon bei zwölf Comics schwer genug, mich zu entscheiden. Es ging mir wohlgemerkt nicht darum, eine objektive Auswahl der besten Krimi- und Thriller-Comics aller Zeiten zu treffen, sondern darum, welche mir am meisten Vergnügen bereitet haben und welche ich am liebsten weiterempfehle.
Aber nun, Ladies and Gentlemen: meine Krimi-Comic-Top-12 für die einsame Insel!
Auf Platz 12: "Teufelsmaul" (1990)
Text: Jerome Charyn Grafik: François Boucq
(© 1990 Casterman / © 1990 Edition Kunst der Comics)
Der ukrainische Waisenjunge Juri, wegen seiner Hasenscharte als "Teufelsmaul" verspottet, wird vom KGB in einem ehemaligen orthodoxen Kloster zum Agenten ausgebildet. Unter dem Namen "Billy Budd" (wie der maritime Märtyrer aus Herman Melvilles Roman) kommt er als erwachsener Agent in die USA. Als seine Gabe des Zweiten Gesichts "Teufelsmaul" in Teufels Küche bringt, steht ihm nur ein alter Indianer zur Seite.
Auf den ersten Blick ist das Thriller-Album "Teufelsmaul" eine süffige, opulent illustrierte Spionagegeschichte mit etwas abgedrehtem Finale. Auf den zweiten Blick ist es ein absurder Mix aus Kalter-Kriegs-Polemik und Mokassin-Esoterik. Auf den dritten Blick eine geschickt als Thriller verkleidete Suche nach Gott.
Jerome Charyns Szenario lässt viele Lesarten zu, ebenso wie die detailreichen Zeichnungen des Franzosen François Boucq, die zugleich karikierend und hyperreal wirken. Der Autor Charyn, ein Amerikaner in Paris, hatte mit Boucq zuvor die noch wunderlichere "Frau des Magiers" erschaffen und etablierte sich bereits vor seinen Comic-Szenarien als Autor ironischer Kriminalromane.
Das französische Original "Bouche du diable" erschien bei Casterman, die deutsche Version in der "Edition Kunst der Comics".
11. Monster [Bd. 1]: Herr Dr. Tenma (1995)
Text und Grafik: Naoki Urasawa
(© 1995 Urasawa Naoki / © Egmont Manga & Anime Europe)
Zwar machen sich viele erwachsene Comic-Leser hierzulande gern über quietschige Mädchen-Manga lustig, gleichzeitig weigern sie sich aber, anspruchsvollere Manga-Serien für Erwachsene zur Kenntnis zu nehmen. Kein Wunder also, dass die Comics des Japaners Naoki Urasawa bei uns nie über den Status von Geheimtipps (oder im Kaufmannsdeutsch: Ladenhütern) hinausgekommen sind.
Dabei verfügt sein Serienkillerkrimi "Monster" besonders für deutsche Leser über enormen Unterhaltungswert. Die auf 18 Bände angelegte Geschichte spielt nämlich großenteils in Deutschland: Nach einem rätselhaften Anschlag wird 1986 der kleine Johann, Sohn eines in den Westen geflohenen "Beraters des DDR-Handelsministeriums", mit Kopfschuss in eine Düsseldorfer Klinik eingeliefert. Der junge japanische Chirurg Dr. Tenma kann die Kugel entfernen. Neun Jahre später erkennt Tenma, dass er damals einem Psychopathen das Leben gerettet hat, der nun mordend durch Deutschland zieht. Bald selbst verdächtig und à la "Dr. Kimble" von der Polizei gejagt, versucht Tenma herauszufinden, wie Johann zum "Monster" wurde und wie er ihn aufhalten kann.
Obwohl Urasawa offenkundig recht gut mit unserer Geschichte und Gesellschaft vertraut ist und obwohl er alle Lederhosen- und Sauerkrautklischees meidet, strahlt sein Deutschland eine seltsame Gemütlichkeit aus. Fast überall herrscht heimelige Kleinstadtatmosphäre. Meine alte Heimat Hannover etwa sieht im zweiten "Monster"-Band so pittoresk wie Rothenburg ob der Tauber aus! Man ahnt, wie sich Japaner fühlen, wenn sie westliche Comics über ihr Land lesen.
"Monster", inzwischen auch als Anime-Serie verfilmt, ist wesentlich holpriger konstruiert als der sechs Jahre später gestartete apokalyptische Thriller "20th Century Boys". Der Manga fesselt aber durch seine dichte Atmosphäre und Urasawas Gespür für Stimmungen. In seinem Stil kombiniert er den Detailreichtum und die Dynamik von Otomo ("Akira") mit der expressiven Anatomie und dem emotionalen Timing von Will Eisner. Und wenn dann in traurigen Szenen die Mimik der Figuren lange Reden ersetzt, zerreißt es einem glatt das Herz.
Die Serie "Monster" erscheint auf deutsch bei EMA (Egmont Manga & Anime).
10. Sam and Twitch – Book One: Udaku (1999/2000)
Text: Brian Michael Bendis Grafik: Angel Medina, Jonathan Glapion
(© 2000 Todd McFarlane Productions Inc.)
Die New Yorker Cops Sam Burke (fett und sarkastisch) und Max "Twitch" Williams (dürr und höflich) stammen aus der Superheldenserie "Spawn". Der Ableger "Sam and Twitch" ist aber deshalb noch lange kein Superhelden-Remmidemmi, sondern ein Bullenkrimi, in den geschickt Science-Fiction, Horror und reichlich Action integriert sind. Als Spawn doch einmal überraschend auftaucht, zeigen die Detectives dem Heros aus der Hölle rüde die kalte Schulter: "Eff off!!"
Die erste Storyline gilt als die beste: Als Sam und Twitch eine Serie bestialischer Morde im Mafia-Milieu untersuchen, stoßen sie auf das rätselhafte Wort "Udaku" und einen scheinbar unsterblichen Täter. Das klingt nicht gerade nach "Schuld und Sühne", aber wie Szenarist Brian Michael Bendis hier Korruption und Killerviren, Gerichtsmedizin und Gangsterkriege unter einen Hut bringt, fesselt schon ungemein. Die Helden sind sympathisch unvollkommen, die Dialoge lang, aber lebendig und die Gespräche von lakonischem Witz geprägt (Barkeeper: "You OK, Detective?" Sam: "Yeah, I'm a fuckin' party.").
Leider gibt’s ein paar Wermutstropfen. "Spawn"-Schöpfer und "Image Comics"-Boss Todd McFarlane ließ die ursprünglich in Farbe erschienene Heftserie in der Paperbacksammlung als Schwarzweißversion nachdrucken, weil das seiner Meinung nach so schön "noir" aussah. In Wahrheit macht das Grau-in-Grau aber die detailverliebten Zeichnungen von Angel Medina unübersichtlich. Ein weiteres Problem: Autor Bendis behandelt Doppelseiten gern wie Einzelseiten, lässt Panels also von links bis nach ganz rechts quer über den Bund laufen. Grundsätzlich kein Problem, hier aber verschwinden mitunter Teile der Sprechblasen in der Buchmitte. Außerdem ist das Maschinen-Lettering hässlich.
9. Desolation Jones: Made in England (2005/2006)
Text: Warren Ellis Grafik: J. H. Williams III.
(© 2005/2006 Warren Ellis and J. H. Williams III.)
Meine Lieblingsfigur in Warren Ellis' noch recht frischer Serie "Desolation Jones" heißt Emily Crowe: eine traumschöne, ehemalige britische Agentin, deren Pheromone künstlich verändert wurden, um sie zur ultimativen Verführerin zu machen. Das Experiment ging nach hinten los: Obwohl nicht bewusst wahrnehmbar, löst ihr Geruch jetzt Angst und Ekel aus.
Von Mitleid einmal abgesehen, mag ich Emily so sehr, weil sie symbolisch für mein Verhältnis zu den Comics von Mr. Ellis stehen könnte. Als seine besten Arbeiten gelten die Science-Fiction-Satire "Transmetropolitan" und der Meta-Verschwörungsthriller "Planetary": geistreiche, vielschichtige Serien, umgesetzt von guten Zeichnern. Hinter dem subversiven Humor spürt man den Herzschlag eines verbitterten Humanisten. Ellis' Witz ist jedoch so aggressiv und manchmal sogar verstörend, sein Spiel mit Pop-Zitaten so kühl und distanziert, dass ich diese Serien bei aller Wertschätzung nur in kleinen Dosen ertrage.
"Desolation Jones" dagegen habe ich sofort ins Herz geschlossen. Nicht weil das Szenario milder ist als bei früheren Ellis-Serien, sondern reifer. Die Handlung wirkt gewohnt verrückt, das Verhalten der Figuren aber erscheint sehr realistisch und nachvollziehbar. Nicht zuletzt, weil diese Charaktere erwachsen genug sind, um offen über ihre psychischen und moralischen Probleme zu sprechen.
"Desolation Jones" spielt im Los Angeles der nahen Zukunft. Hier lebt eine kleine Gemeinde von Ex-Spionen. Einige – wie Emily und der Titelheld – gelten als zu gefährlich für die Allgemeinheit und dürfen die Stadt nicht verlassen. Michael Jones, einst Agent und Killer des britischen Geheimdienstes, ist der einzige Überlebende des "Desolation Test". Was genau man Jones angetan hat, erfährt man im ersten Band nicht (, der Text auf der Buchrückseite verrät es allerdings). Auf jeden Fall hat ihn der Prozess unempfindlich gegen Schmerz gemacht und angeblich auch allen Mitgefühls beraubt. Jones kann kaum noch schlafen, seine Augen ertragen kein Sonnenlicht, er wird von Halluzinationen geplagt und sieht vertrockneter aus als Death Valley. Alkohol würde den ehemaligen Kampftrinker töten, also tröstet er sich mit Kiffen.
Jones, inzwischen Privatdetektiv für Mitglieder der Geheimgemeinde, soll im Auftrag des greisen Colonel Nigh eine gestohlene Filmrolle mit Pornoaufnahmen aus Hitlers Bunker wiederbeschaffen. Was als trashige Parodie auf Chandlers "Big Sleep" beginnt, nimmt rasch eine "King Lear"-Wendung. Denn bald fragt sich Jones, ob sein dubioser Klient ihn nicht in Wahrheit indirekt nach einer seiner drei Töchter suchen lässt, die spurlos verschwunden ist. Oder will Colonel Nigh die Fimrolle nur zurück, weil sich darin etwas Brisanteres befindet als des Führers Ferkeleien? Nun, Jones mag keine Gefühle haben, aber wie Philip Marlow hat er feste Vorstellungen von Moral und Gerechtigkeit. Und die setzt er im Finale brutal in die Tat um.
Dieses erstaunlich anrührende Universum zwischen camp und Kunst, Drogentrip und Gewaltrausch schreit nach einer unkonventionellen grafischen Umsetzung. Tatsächlich gelingt J. H. Williams III. ("Promethea") ein Comic, der auch als erster narrativer Pop-Art-Posterkatalog durchgehen würde: Mal stehen die Panels in Reih und Glied, dann liegen sie wie Spielkarten über die Seite verstreut, ziehen sich über die ganze Doppelseite oder fächern sich spitzwinklig nebeneinander auf. Schwarzweiße Bilder mischen sich zwischen leuchtend bunte, Action sprengt den Panelrahmen, und wenn Mr. Jones träumt, wird’s verschwommen.
In seinem Blog (teilweise not safe for work!) hat Warren Ellis hochinteressante Anmerkungen zu "Desolation Jones" veröffentlicht, offenbar inspiriert von DVD-Audiokommentaren. Leider ist er dabei nicht über die ersten paar Seiten hinausgekommen. Am Ende schafft Jones eben alle.
Die US-Version von "Desolation Jones: Made in England" erschien unter dem WildStorm-Label bei DC Comics, die solide deutsche Übersetzung bei Panini Comics.