Samstag, 5. Mai 2007
Keinkunst-Milieu
Zur Neuauflage von "Kunsttheorie versus Frau Goldgruber"

Wie der junge "Nicki" Mahler zu seiner Theaterphobie kam.
Aus: "Kunsttheorie versus Frau Goldgruber".

(© 2007 Reprodukt / © 2003 Edition Selene)


Im Herbst 1998 versuchte ich auf einer Bahnfahrt von Köln nach Hannover einen der "Herr Hase"-Comics von Lewis Trondheim zu lesen, gab aber nach zehn, fünfzehn Seiten auf. Nicht etwa, weil der Band schlecht gewesen wäre. Im Gegenteil: Ich musste ständig kichern und spürte nach einer Weile, dass die Umsitzenden nervös zuckten, weil sie mich möglicherweise für einen entlaufenen Geistesgestörten hielten.

Diese Erfahrung teile ich wohl mit so manchem Comic-Freund: Christian Gasser zumindest, Pop-Journalist und Mit-Herausgeber des Schweizer Comic-Magazins "Strapazin", schildert im Nachwort zur Neuauflage von "Kunsttheorie versus Frau Goldgruber" jetzt Ähnliches. Ein schöner Zufall, denn seit besagter Herr Trondheim 1995 sein Meisterwerk "Approximate Continuum Comics" veröffentlichte, bot kein autobiographischer Comic so niveauvollen und zugleich frechen Humor wie Nicolas Mahlers "Kunsttheorie“.

Mahlers Buch erschien bereits 2003 in der Wiener Edition Selene, ursprünglich als Katalog einer Ausstellung. Im April 2007 hat der Berliner Verlag Reprodukt nun die Zweitauflage herausgebracht, für die Mahler eine kurze Fortsetzung gezeichnet hat.

In zwölf Kapiteln, einem Pro- und einem Epilog erzählt der 1969 in Wien geborene Mahler aus seinem Leben. Er plaudert über seine kindlichen Versuche als Autogrammfälscher, die Atelier- und Kneipenfreundschaft mit dem Kollegen Neuwinger, seine Nebenjobs als Videothekar oder Comic-Zeichenlehrer, die Trick-Verfilmung seines Strips Flaschko, der Mann in der Heizdecke" oder die Adaptierung seiner absurden Angestellten-Ballade "Kratochvil" als Puppentheaterstück. Dabei springt er fröhlich zwischen den Zeiten hin- und her und erregt sich mitunter auch kapitellang über Kunstszene, Werbung oder Comic-Conventions. Grundthema ist die Frage "Sind Comics Kunst?", aufgeworfen von der titelgebenden Frau Goldgruber, einer schwierigen, aber keineswegs bösmeinenden Wiener Finanzbeamtin. "Kein Wort ist frei erfunden... alles ist genauso passiert" heißt es im Geleitwort. Die beteiligten Personen nennt Mahler meist beim realen Namen.

Mahlers minimalistischer Stil ist unverwechselbar: Seine Figuren bestehen im wesentlichen aus Nase und Rumpf. Obwohl er das Theater vorgeblich hasst, wirken die kargen Panels wie spartanisch dekorierte Bühnen. Dank Wortwitz und dem Spiel mit Sozio- und Dialekten lesen sich die Dialoge durchgängig witzig, dennoch lassen sich Mahlers Scherze schlecht nacherzählen. Denn die größten Lacher ergeben sich aus den sorgfältig (re)konstruierten Situationen und den detailliert geschilderten Eigenarten der Charaktere.

Wie bereits erwähnt, enthält die Neuauflage ein lesenswertes Nachwort, in dem Christian Gasser den Zeichner porträtiert: "Ein Mann, sein Humor und seine Klagen". Nicolas Mahler erfüllt das Klischee vom Wiener Grantler ganz grandios. Dabei könnte er zufrieden sein. Kurzfilme und ein Puppenstück nach seinen Werken reüssierten bei Kritik und Publikum. 2006 erhielt er für "Das Unbehagen" den Max-und-Moritz-Preis. Im Ausland erscheinen seine Geschichten bei bekannten Independent-Verlagen wie L'Association und Top Shelf.

Dennoch glaubt Mahler sich unverstanden, besonders in seiner Heimat Österreich. Weder in der Comic- noch in der Kunst- oder Literaturszene fühlt er sich so recht zu Hause. Comic-Fans stellt er in "Kunsttheorie versus Frau Goldgruber" als kindische Dickwänste mit Hygieneproblemen dar. Noch viel schlimmer kommen freilich bildungsbürgerliche Comic-Verächter weg. Solche wie der österreichische Künstlerpromi und Segel-"Staatsmeister" Christian Ludwig Attersee. Der angeblich "OBJEKTIV schlechteste Maler der Welt" diffamierte die Arbeiten des Zeichners einst als "Kommerz" und schuf sich damit offenbar einen Feind fürs Leben. Attersees Bilder sind im Comic nicht zu sehen: "Die Leinwand bleibt hier leer. Es ist mir nicht möglich, das Grauen, das ein 'Atterbild' ausmacht, wiederzugeben." Doch selbst Menschen, denen Mahler zugetan scheint, porträtiert er äußerst mokant, etwa den Wiener Sänger Ronnie "Rocket" Urini oder einen nicht näher benannten Zeichnerkollegen aus dem deutschen Cartoonisten-Gespann "Rattelschneck" (früher fünf, heute zwei Personen, bei Mahler indes gibt es seltsamerweise nur einen "Kollegen Rattelschneck").

Nun wäre all das eher arrogant als amüsant, machte Mahlers Spott vor der eigenen Person Halt. Doch gerade die Selbstironie handhabt er in "Kunsttheorie versus Frau Goldgruber" meisterhaft. Immer wieder entlarvt Mahler sich selbst als unzuverlässigen Erzähler: Kommentare stehen dann im Widerspruch zum Bildinhalt, für Trägheit oder Opportunismus werden wunderbar windige Entschuldigungen auftischt. Und grundsätzlich gilt: "Schimpfen wird man ja wohl noch dürfen.. Ich mach ja dann eh bei allem mit".

Mahler: "Kunsttheorie versus Frau Goldgruber", Berlin 2007, Reprodukt, 128 Seiten, 14 Euro.