Freitag, 29. August 2008
L.A. Cucaracha
Simon Olivers "Exterminators"

"Schon fasst einer, der voran,
Onkel Fritzens Nase an"

Wilhelm Busch:
Max und Moritz



Scharfe Schaben: Das coolste Cover der Serie,
gezeichnet von Philip Bond
-- "The Exterminators #20" --

(© 2007 Simon Oliver and Anthony M. Moore)


"The Exterminators" ist die großartigste schlechte Serie, die ich je gelesen habe.

"Headshaking Fun" nennt das US-Magazin "Entertainment Weekly" so etwas: Man schüttelt beim Lesen den Kopf, vor allem über sich selbst, weil man sich bei diesem absurden Sex-and-Violence-Epos über weite Strecken doch sehr gut und nicht selten sogar intelligent unterhalten fühlt. Im Mai ist Band 1 der DC-Vertigo-Serie auf Deutsch als "Exterminators: Käferkiller" bei Panini erschienen.

Den Weltuntergang in Los Angeles beginnen zu lassen, ist keine neue Idee, und sicher kommt die Apokalypse auch nicht zum ersten Mal in Form von Insektenscharen dahergekrabbelt. Den ganzen Schlamassel als Seifenoper unter Kammerjägern zu erzählen, macht es schon origineller, erst recht, wenn bei dieser Truppe ein schwarzer Cowboy-Buddhist, ein ehemaliger Arzt der Roten Khmer und eine belesene Prostituierte mitmischen.

Im Zentrum der Serie steht allerdings Henry James: Der Ex-Sträfling um die 30 arbeitet seit kurzem bei "Bug-Bee-Gone", der Kammerjägerfirma seines Stiefvaters in East Los Angeles. Warum Henry im Knast saß, erfahren wir erst in Band 3. Dass der besonnen wirkende Mann unter Stress zu extremer Gewalt fähig ist, zeigt sich aber schon im ersten Kapitel.

Treibstoff der Geschichte ist ein schlumpfblaues Zeug namens "Draxx". Ursprünglich als C-Waffe für das US-Militär entwickelt, vermarktet der Konzern OCRAN es inzwischen als Schädlingsbekämpfungsmittel. Wie die Kammerjäger um Henry bald herausfinden, killt der Glibber zwar die meisten Kakerlaken, macht eine neue mutierte Unterart aber stärker und vor allem intelligenter. Ja, das Zeug hat's wirklich in sich: Jagt man sich Draxx in die Vene, knallt es besser als Heroin, freilich mit krassen Nebenwirkungen (Draxx = "Drugs", nicht Olivers bestes Wortspiel).

Während der große Endkampf "Kalifornien vs. Kakerlake" näher rückt, hetzt Oliver fast jeden denkbaren Schurken auf seine KammerjägerInnen. Neben oberschlauen Schaben und Killerkäfern wäre da zunächst der militärisch-industrielle Komplex in Gestalt Ocrans und seiner Verbündeten. Auf leisen Sohlen kommt das Böse aber auch aus dem alten Ägypten und der US-Neonazi-Szene, auch schwarze Drogengangster und unheimliche Südsee-Insulaner mischen mit. Und bestimmt hab ich jetzt noch irgendwen vergessen.

Der Reiz von "The Exterminators" liegt darin, dass der britische Szenarist Oliver hier vieles zusammenwirft, was eigentlich nicht zusammengehört. So glauben Oliver und Tony Moore, der Hauptzeichner der Serie, den Lesern in fast jeder Episode ein besonders schockierendes Panel vor den Latz knallen zu müssen: Diese Horrorpendants zum Porno-Moneyshot reichen vom ausgeweideten Waschbären bis zur madenzerfressenen Psychiatrie-Patientin. Am anderen Ende der Geschmacksskala stehen die zahlreichen Literaturanspielungen der Serie. Dass einer von Henrys Kollgen sich Käfergift in die Vene jagt, verweist natürlich auf den Junkie-Autor und zeitweiligen Kammerjäger William Burroughs. Eine von Olivers besten Ideen ist ein Art Edelpuff für Bücherfreunde: Die "Exterminators" landen dort, weil sich in den Riesenpilzen des "Alice im Wunderland"-Raums schwarze Witwen eingenistet haben. Nebenan lässt sich gerade ein Kafka-Fan im Käferkostüm von einer Vaterfigur vertrimmen, und etwas später beschweren sich zwei Prosa-Prostituierten, dass Freier, die es à la "Vom Winde verweht" treiben wollen, immer nur den Film, aber nie das Buch kennen. Übrigens frage ich mich, ob der Name des Protagonisten Henry James Zufall oder eine besonders clevere Anspielung ist: Der bekanntere Henry James (1843–1916) war schließlich ein amerikanischer Schriftsteller, der in Großbritannien lebte. Simon Oliver, Erfinder des "Exterminators" Henry James, ist wiederum ein britischer Autor, der in den USA arbeitet... nee, Zufall, oder?

Auf jeden Fall: Headshaking Fun! Beim DC-Label Vertigo, wo "The Exterminators" seit März 2006 erschienen ist, hat man wohl ebenfalls den Kopf geschüttelt, allerdings über die Verkaufszahlen. Zu schmuddelig für Neunte-Kunst-Feingeister, zu anspruchsvoll für Splatter-Freaks, verkauften sich die Hefte immer schlechter. So wurden aus den von Autor Simon Oliver ursprünglich avisierten fünfzig Folgen schließlich nur dreißig. Laut Zeichner Tony Moore hielten nur die Paperback-Sammelbände die Serie überhaupt so lange am Leben.

Im Juli 2008 ist die vorerst letzte Ausgabe von "The Exterminators" erschienen. "Vorerst", denn ich kann mir gut vorstellen, dass irgendwann eine Art "Writer's Cut" herauskommt. Denn erstens verschwanden aufgrund des vorgezogenen Endes einige bereits fertiggetextete "Exterminators"-Handlungsstränge in der Schublade. Zweitens steht Oliver mit DC nach wie vor auf gutem Fuß und darf dort nun den "Hellblazer"-Ableger "Chas – The Knowledge" schreiben. Und dritten sitzt Oliver inzwischen für den US-Bezahlkanal Showtime an einer Fernsehversion der Serie. Ironischerweise hatte er "The Exterminators" ursprünglich ohnehin als TV-Serie konzipiert, dann aber deren Comic-Potenzial erkannt und sie bei Vertigo eingereicht.

Oliver, der als Kamera-Assistent arbeitete, bevor er zu schreiben begann, verfügt über recht wenig Comic-Erfahrung. Außer "Asterix" und "Tim und Struppi", "The Dark Knight Returns" und "Watchmen" hatte er vor seinem Einstieg in die Szene kaum etwas gelesen. Um so stärker machen sich in "The Exterminators" der Einflusss von Film und besonders Fernsehen bemerkbar – und zwar durchaus positiv. Tatsächlich wird die Serie im selben Maße schwächer, in dem sie "comic-hafter" wird.

Speziell im ersten Band, "Käferkiller" (im Original: "Bug Brothers"), gelingen Oliver und dem Zeichner Tony Moore ("The Walking Dead", "Fear Agent") einige brillante "filmische" Montagen. Die erste Seite der Serie etwa hätte auch Eisenstein gefallen: Vier Querpanels zeigen verschiedene Details einer von Kakerlaken nur so wimmelnden Wohnung. Im ersten Bild kriechen die Schaben über eine TV-Fernbedienung und Fastfood-Reste, im zweiten über eine Postkarte aus Hawaii und Souvenir-Schneekugeln aus verschiedenen US-Städten (Las Vegas und New York, dazwischen L.A., wo die Geschichte spielt), im dritten über Magazine und Zeitungen (auf einem Cover erkennt man die "Twin Towers"), im vierten über das Foto eines heimkehrenden GIs, der von Frau und Sohn in die Arme geschlossen wird. Man kann das so lesen: Etwas Schreckliches, das du zunächst nur im Fernsehen gesehen hast (Panel 1) oder wovon du im Urlaub bzw. durch auswärtige Besucher gehört hat (Panel 2), dieses Schreckliche kommt wie die Zeitung vor deine Haustür (Panel 3) und zieht dich in einen Krieg (Panel 4). Diese Deutung liegt insofern nahe, als sich die ganze Serie als Parabel auf militärische Konflikte lesen lässt, deren Ursachen hausgemacht sind (worauf ich aber nicht näher eingehe, um nicht zu spoilern).

Auch später erschaffen Oliver und Moore in solchen gleichmäßig pulsenden Panel-Montagen schöne Comic-Kamerafahrten. Dabei nutzen sie zur Raumkonstruktion u.a. Reflexionen in Rückspiegeln oder Brillengläsern – sehr schick.

Amerikanische Fans der Serie vergleichen sie gern mit "Six Feet Under" oder "The Wire". Vom Niveau dieser TV-Meilensteine ist "The Exterminators" leider weit entfernt, es stimmt allerdings, dass Oliver offenbar eine ähnliche Komplexität angestrebt hat – zumindest anfangs. Obwohl die Serie in Henry James einen klaren Protagonisten hat, kann sich der Fokus auf andere Figuren verlagern, mitunter mehrere Episoden lang. Ebenso umgibt Oliver den roten Faden der drohenden Insekten-Apokalypse mit Handlungssträngen und Mini-Episoden, die vom Privatleben der Figuren oder besonders bemerkenswerten (= ekligen) Kammerjägeraufträgen erzählen. Olivers Figuren sind Karikaturen, doch auch Karikaturen können komplex sein. Seine mit Abstand beste Schöpfung ist der Dr. Saloth Sar, eine Art wissenschaftlicher Berater der "Exterminators". Der geniale Schädlingsexperte aus Kambodscha spricht aus gutem Grund nicht über seine Vergangenheit als Mediziner. Statt Saloth aber einfach nur als mad scientist einzusetzen, gesteht Oliver ihm ein durchaus vielschichtiges Gefühlsleben zu. Saloths Rendezvous mit einer molligen Entomologin in Band 3 bildet vielleicht den grotesk-komischen Höhepunkt der gesamten Serie.

Bei weiblichen Figuren zeigt Oliver freilich wenig Geschick. Der Mann hat zwei Kinder, also nehme ich an, dass er schon mal einer Frau begegnet ist. Man möchte fast daran zweifeln, wenn man sieht, dass die einzige interessante Frau der Serie eine steinalte, kleinwüchsige Ägyptologin mit Zuckerwattefrisur ist (die sehr lustig über ihre Affäre mit C. G. Jung schwadroniert). Olivers misslungenste Figur ist ausgerechnet die wichtigste Frau der Serie: Henry James attraktive Freundin Laura, die durch Sex mit ihrer bösen Vorgesetzten in die Führung des Horrorkonzerns Ocran aufsteigt. Zunächst noch ambivalent gezeichnet, rutscht ihr Charakter nach einer hirnrissigen Wandlung in Band 3 in ebenso mysogyne wie langweilige Luder-Klischees ab.

Tatsächlich lässt gegen Ende von Band 3 nicht nur das Szenarios nach, auch die Optik leidet. Schuld ist die Abwesenheit von Tony Moore. Sicher gibt es bessere Zeichner als Moore, aber wohl kaum einen, dessen Stil besser zu den "Exterminators" passt: Moore zeichnet eine Art "Realismus mit Kulleraugen", mischt seinen Zeichnungen also stets eine Prise Cartoon bei. Genau richtig für eine Serie, die sich nicht allzu ernst nimmt, sich aber satirische Anspielungen auf das reale Amerika herausnimmt. (Auch der Kolorist Brian Buccellato trifft den richtigen Farbton für dieses kalifornische Pulp-Epos: sonnig, aber stets ein bisschen schmuddelig, als läge über allem ein schmieriger Dunst.) Leider verabschiedete sich Tony Moore nach Heft 14 (bzw. Band 3) fürs Erste von den "Exterminators" und kehrte erst mit Nr. 24 zurück. Dann übernimmt einer der bisherigen Inker, dessen Episoden man mit dem Titel "Hallo, ich heiße John Lucas, und ich kann keine Frauen zeichnen" überschreiben könnte. Anschließend gibt Ty Templeton ein kompetentes, wenn auch uninspiriertes Gastspiel. Dann kommt für mehrere Ausgaben Darick Robertson, der hier leider längst nicht so gute Arbeit abliefert wie bei "Transmetropolitan" oder "The Boys": Welche Figur wann wo warum steht, ist in seinen Zeichnungen nicht immer klar.

Im November 2008 erscheint mit "Bug Brothers Forever" der fünfte und letzte US-Sammelband, zum größten Teil wieder von Ur-"Exterminator" Tony Moore gezeichnet. Danach darf man, sollte sie denn wirklich gedreht werden, auf Olivers Fernsehversion gespannt sein – und darauf, ob er die Stärken des Comics bewahren und die Fehler ausbügeln kann.



Deutsche Fassung:

"Exterminators [Bd. 1]: Käferkiller"
Text: Simon Oliver; dt. v. Bernd Kronsbein;
Grafik: Tony Moore u. a.
Panini 2008; 128 Seiten, 14,95 Euro.



US-Original:

"The Exterminators [Vol. 1-4]"
Vertigo/DC Comics 2006–2008, 128–168 Seiten, 14,99 Dollar.