Freitag, 1. August 2008
Gut bis auf den Hut:
Die Eisner Awards 2008
Die Eisner Awards 2008
neurokomiker, 02:01h
Ah, das muss sie sein, die oft beschworene Schattenseite des Ruhms: Niemand traut sich mehr, dir zu sagen, dass du mit deinem neuen Deckel echt bescheuert aussiehst.
Anders kann ich mir jedenfalls nicht erklären, wieso man Frank Miller am 25. Juli bei der Verleihung der Eisner Awards mit einem Hut ans Rednerpult ließ, der wohl an Will Eisners "Spirit" erinnern sollte, unter dem Miller aber wie ein meschuggener Waldschrat hervorlugte (Beweisstück A).
Falls jetzt aber jemand denkt: Du machst dich ja nur über den Miller lustig, weil du den Auftritt gern live gesehen hättest, dann liegt derjenige genau richtig. Die Verleihung der Comic-Oscars auf der Comic-Con in San Diego wurde dieses Jahr nämlich u. a. aus dem Werbe-Etat von Millers zur Weihnachtszeit anlaufender "The Spirit"-Verfilmung gesponsert. Der erste Trailer ließ wenig Gutes ahnen, der zweite ist immerhin schön poppig. Zwar hatte Meister Miller nicht die illustren Femmes fatales des Films dabei, aber immerhin Hauptdarsteller Gabriel Macht und dessen Film-Gegenspieler, den leibhaftigen Samuel L. Jackson.
Auch in anderer Hinsicht war's eine spannende Veranstaltung: Stand die Preisverleihung 2007 noch im Zeichen der Strumpfhose ("Allstar Superman", "Batman: Year 100", "New Frontiers"), so findet man auf der Siegerliste dieses Jahr kaum Superhelden. Dafür aber ein breites Themenspektrum vom Mäusemärchen (David Petersens zweifach ausgezeichnete "Mouse Guard", dt. bei Cross Cult) bis zum Politkrimi (Rutu Modans "Exit Wounds", dt. als "Blutspuren" bei Edition Moderne), von der brillanten Avantgarde (Chris Ware und seine "Acme Novelty Library 18") bis zur bizarren Antiquität (Fletcher Hanks' "I Shall Destroy All the Civilized Planets!").
Eine neue, interessante Entwicklung zeichnete sich dieses Jahr chez Eisner ab: Comics ziehen offenbar verstärkt Quereinsteiger aus anderen Medien an. So wurden diesmal Geschichten aus der Feder des Musikers Gerard Way, des Krimiautors Brad Meltzer und des TV-Produzenten Joss Whedon ausgezeichnet (dazu gleich mehr). Das australische Bilderbuch-Genie Shaun Tan ging leider leer aus, war mit seiner wortlosen Graphic Novel "The Arrival" (ab Herbst bei Carlsen als "Ein neues Land") aber immerhin in gleich zwei Kategorien nominiert. Und dann war da ja noch Brian K. Vaughan, Autor bzw. Co-Autor der ebenfalls ausgezeichneten Serien "Y – The Last Man" und "Buffy, Season 8". Der Starszenarist studierte ursprünglich auf eine Film- und Fernsehkarriere hin und arbeitet inzwischen auch am TV-Dauerbrenner "Lost" mit.
Die komplette Liste der Nominierten findet man hier, die der Gewinner hier. Seit diesem Jahr gibt es stolze dreißig Kategorien, neu sind die Auszeichnungen für den besten Kinder- bzw. Jugend-Comic.
Anders als letztes Jahr werde ich das diesmal nicht alles altklug kommentieren, sondern nur meinen Senf zu einigen Gewinnern abgeben, deren Auszeichnung mich besonders gefreut hat.
"The Umbrella Academy" (Dark Horse), eine liebevolle Parodie auf Verschwörungs-Pop à la Grant Morrison oder Warren Ellis, siegte in der Kategorie Best Limited Series. Allein schon die Idee mit dem Touris tötenden Eiffelturm ist die Auszeichnung wert! Erdacht wurde das coole Pandämonium von Gerard Way, Sänger der nicht ganz so coolen Band "My Chemical Romance". Way behauptet, er mache nur Musik, weil es mit der Comic-Karriere zunächst nicht geklappt habe. Für die dynamische, geschmeidige Cartoon-Optik zeichnet der angesagte Brazil-Import Gabriel Bá verantwortlich. Zusammen mit Bruderherz Fabio Moon (hey, ich erfinde diese Namen nicht!) und drei anderen KünstlerInnen gewann Bá mit dem im Selbstverlag publizierten "5" auch den Preis für die Beste Anthologie. Die traumhaften Titelseiten der Serie stammen von James Jean, der wie jedes Jahr seit 2004 auch diesmal als "Best Cover Artist" ausgezeichnet wurde.
"Buffy the Vampire Slayer, Season 8" (nochmals Dark Horse) sahnte als Best New Series ab. Joss Whedon setzt seine TV-Kultserie als Comic fort und nutzt dabei clever die Stärken des Mediums: Massenszenen, riesige Sets und knallige Spezialeffekte kann er nun ohne Mega-Budget verwirklichen. Wer die Serie nicht kennt, versteht nix – gut so. Als Co-Autor holte er Starschreiber Brian K. Vaughan ("Y", "Ex Machina") ins Boot, der ein tolles Intermezzo mit meiner Lieblingsfigur Faith beisteuerte. Grafisch finde ich "Buffy" nicht ganz so prickelnd: Zeichner Georges Jeanty und Inker Andy Owens bemühen sich zu sehr darum, ihre Figuren den Schauspielern anzugleichen und produzieren dabei bisweilen ziemlichen Krampf. Ein Genuss sind dagegen die Cover der Taiwanesin Jo Chen.
Das als Best Comics-Related Book ausgezeichnete "Reading Comics" (Da Capo Press) des Journalisten Douglas Wolk ist für mich das unterhaltsamste Sekundärwerk neben Scott McClouds "Understanding Comics" und "Comics: Between the Panels" von Duin/Richardson. Der etwas prätentiöse Untertitel "How Graphic Novels Work and What They Mean" führt in die Irre: Dies ist keine semiotische oder soziologische Analyse. Wolk wendet sich an erwachsene Comic-Leser auf der Suche nach erwachsenen Geschichten. Er zeigt, wo (US-)Comics heute stehen, wie sie dorthin gelangt sind und in welche Richtung sie sich bewegen müssen, um zu überleben. Dabei schneidet Wolk mit Verve alte Zöpfe ab und zerschlägt fröhlich Schubladen. Aus persönlichen Vorlieben und Abneigungen macht er keinen Hehl. Die Nostalgieseligkeit der "Silver" und "Golden Age"-Superheldenfans nervt ihn ebenso wie die Fixierung der Indie-Szene auf den eigenen Nabel. Wolk plädiert für ein Nebeneinander von "Batman" und "Blankets" und zeigt, dass unterschiedliche Genres dasselbe Vergnügen bereiten können, wenn man sich auf unterschiedliche Lesarten einlässt. Schade ist nur, dass er bis auf David B. keinen Künstler aus dem nicht-englischsprachigen Ausland näher vorstellt.
Übrigens frage ich mich, ob sich wohl Wolk und Brad Metzler bei der After-Show-Party was Nettes gesagt haben. Metzlers "Justice League"-Story "Walls" wurde dieses Jahr als Best Single Issue (or One Shot) ausgezeichnet. Seine 2004er DC-Serie "Identiy Crisis" hatte Douglas Wolk in "Reading Comics" ausführlich verrissen und u. a. als den "ungeheuerlichsten Comic-Heft-Schrott aller Zeiten" ("the most egregiously terrible comic book of all time") beschimpft.