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Montag, 7. März 2011
Die Klassiker-Therapie (2)
neurokomiker, 01:10h
DEN: Die Reise nach Nirgendwo von Richard Corben
Erstausgabe: New York 1977/78 (HM Communications)
Gelesene Ausgabe: Hamburg 1991 (Carlsen, übers. v. Kristian Lutze)
Story: Der schmächtige Stubenhocker David Ellis Norman findet in einem Buch seines verschollenen Onkels den Bauplan für ein Gerät, mit dem man in andere Dimensionen reisen kann. Schwupps! landet er im Wunderland Nirgendwo. Dabei mutiert er auch gleich noch zu Den, einem Muskelprotz mit Riesendödel. Wenig später rettet er die dralle Kath davor, einem Monster geopfert zu werden, und gerät so in den Konflikt zwischen der Königin von Nirgendwo und diversen Rebellen.
Bester Satz: "Die klassisch symbiotische Beziehung; sie lockte das Opfer an, der Drache erledigte den blutigen Rest." (nach Dens beinahe fataler Begegnung mit einer schönen Nackten)
Beste Stelle: Die böse Königin will ihrem Gefangenen Den mittels Oralsex ihre Überlegenheit beweisen (eine interessante Idee, über die auch reale Diktatoren nachdenken sollten). Mittendrin eilt Freundin Kath auf einem Flugsaurier zur Rettung herbei, doch als sie Den in die Höhe zieht, lässt die Königin nicht locker. Diese Szene zwischen Porno, Undergroundsatire und Fantasykitsch fasst Corbens Comic sehr schön zusammen.
Kritik: Sich über "Den" lustig zu machen, ist ebenso einfach wie verlockend. Weshalb es wohl selbst die Herausgeber von "Heavy Metal" getan haben, jenem Magazin, das durch "Den" berühmt wurde und umgekehrt. "Manche Leute halten 'Den' für das Größte, das je in einem Comic erschienen ist. Für andere ist es ein Nichts – sie verstehen es nicht, sie verstehen nicht, warum er immer nur 'Argh' und 'Gargh' sagt und mit großbusigen Frauen nackt durch die Gegend rennt", amüsierte sich 1979 die "Metal"-Chefin Julie Simmons, "Ich weiß nicht mal genau, ob ich es verstehe, aber wir haben's trotzdem in das Magazin getan."
Wer über "Den" spricht, meint in der Regel die 1977/78 in "Heavy Metal" erschienene Story "Neverwhere", die erste längere Geschichte der Saga. Bereits 1968 hatte Corben in einem ebenfalls "Neverwhere" betitelten animierten Kurzfilm einen nackten Kahlkopf Unholde meucheln lassen, später wurde daraus ein kurzer Comic, den er für das französische Magazin "Métal Hurlant" auf zwei Teile erweiterte und für dessen US-Pendant dann auf dreizehn Teile streckte. Später folgten diverse Prequels und Sequels.
Bis Anfang der 90er-Jahre gehörte es sich für Freunde der Neunten Kunst, eine Meinung zu "Den" zu haben. Der Comic-Journalist Andreas C. Knigge rückte Corbens Airbrush-Leiber in die Nähe faschistischer Statuen. Kollege Horst Schröder aber bestritt, dass der segelohrige Den irgendwelchen Schönheitsidealen entsprach und sah ihn als armes Würstchen. Später revidierte Knigge sein Urteil teilweise und als Carlsen-Cheflektor brachte er "Den" gar selbst heraus. Hm, tja... interessanter Diskurs, meine Herren, aber wenn man "Die Reise nach Nirgendwo" heute liest, dann wirkt sie ähnlich angestaubt wie Corbens zweitbekannteste Arbeit: das Biker-Pomp-Cover zum Album "Bat Out of Hell" von Meat Loaf.
Dabei machen Anfang und Ende der Geschichte durchaus Spaß. Sowohl bei Dens Ankunft in Nirgendwo wie auch beim semi-pornografischen Epilog (aus dem obige "beste Stelle" stammt) bemüht Corben sich deutlich, den Leser zu überraschen, was ihm auch gelingt. Zu Beginn experimentiert er clever mit den Möglichkeiten des Comics: Er lässt den Betrachter um Den kreisen, neigt Panels um 90 Grad, um einen weiten Weg und eine lange Zeitspanne anzudeuten und setzt Dens Sinneseindrücke beim Anblick eines nackten "Indianermädchens" zu einem Kaleidoskop aus Minipanels zusammen (eine Art vorweggenommene Sex-Parodie auf Chris Ware). Im Verein mit Corbens legendärem Airbrush-Chiaroscuro vermitteln diese Tricks perfekt die Desorientierung des Helden und die verwirrende Exotik der Umgebung. Der Epilog amüsiert vor allem durch Corbens Humor, den er zuvor leider nur in homöopathischen Dosen einsetzt. Wenn sein völlig überforderter Muskel- und Potenzprotz wehrlos zwischen zwei starken Frauen festhängt, bedient Corben Männerträume und veralbert sie gleichzeitig. Hätte Russ Meyer "Conan" gedreht, sähe der Film vermutlich so ähnlich aus.
Aber leider gibt es ja die vielen Kapitel zwischen Auftakt und Ende, in denen die Charaktere sich endlos um den "Loc-Nar" balgen, ein magisches Zepter (aus dem im "Heavy Metal"-Kinofilm eine Art beseelte Kugel wurde). Obwohl Corben bildstark zu erzählen weiß, nervt er über weite Strecken mit redundanten Erzähltexten, teils grotesk formuliert: "Die Sache wurde wieder brutal, aber ich sah jetzt eine Möglichkeit zur Flucht, wenn auch eine schwache." Ähnlich lausig, aber wesentlich unterhaltsamer sind die Dialoge, etwa diese Perle aus dem bereits erwähnten Epilog:
Den: Wir sind Günstlinge des Glücks. Es ist beinahe
vollkommen.
Kath: Beinahe vollkommen? Was könnte denn noch besser
sein? Gibt es etwa eine Stellung, die wir noch nicht ausprobiert haben?
Den: Ha, ha, ha, ha! Nein, das ist es nicht.
Du bist wunderbar.
Dieses wunderbare Glück erleben Den und Kath übrigens nur, weil sie, die in der Realität schwächliche Hänflinge waren, im Reich Nirgendwo zu Muskelmann und Kurvenwunder erblüht sind. Corben verherrlicht das Körperliche also sehr wohl auf gefährlich dumpfe Weise. Allerdings ist die Kampfmaschine Den im Innern tatsächlich ein frustrierter Hippie, der Liebe statt Krieg machen möchte. Doch kaum kuschelt er mit Kath auf einer Blümchenwiese, kreuzt der monströse Revoluzzer Gel auf, ein Typ mit vielen Haaren, kurzem Piephahn und buchstäblich großer Schnauze. Einige Kloppereien später trifft Den auf Gels gefährlicheren Rivalen Ard, den Corben zunächst als dekadente Tunte und später als impotenten Sadisten inszeniert. Wer mag, kann den Comic des Ex-Underground-Zeichners Corben als schmollende Satire auf bigotte 68er-Ideologen lesen.
Doch mit diesen Anflügen von Hintersinn verhält es sich wie mit allen Aspekten des Werks: nicht links, nicht rechts, nicht ernst gemeint, aber auch selten wirklich witzig. Abgesehen von einigen prickelnd ambivalenten Sequenzen fügen sich die Teile nie zu einem Ganzen. So ist Corbens Comic letztlich wirklich eine "Reise nach Nirgendwo".
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