Mittwoch, 3. März 2010
Was vom Jahre übrig blieb:
Meine Comic-Favoriten 2009 – Platz 3

Spirou + Fantasio Spezial 8:
Porträt eines Helden als junger Tor


Text und Grafik: Émile Bravo (Farben: Delphine Chedru/Rémi Chaurand)
Verlag: Carlsen

© Dupuis, 2008 – Bravo
© 2009 Carlsen Verlag GmbH

Émile Bravos subtil subversives Album tut für die "Spirou und Fantasio"-Comics, was "Casino Royale" und "Batman Begins" für die Bond- bzw. Batman-Filme getan haben: Eine betagte Figur der Popkultur wird an ihre psychologischen Wurzeln zurückgeführt und gleichzeitig in einen deutlich realistischeren Kosmos verpflanzt. Doch während Bond und Batman dabei in erster Linie für Neueinsteiger "rebootet" wurden, leistet Bravo in seinem "Spirou" weit mehr und zwar für alte wie neue Leser.

An der Oberfläche geht es darum, wie aus dem servilen Hotelpagen Spirou ein Abenteurer wurde, weshalb er seine Pagenuniform auch als globetrottender Held nicht ablegte, wie sein zahmes Eichhörnchen Pips ein Bewusstsein erlangte und wie er seinen Busenfreund Fantasio kennenlernte. Bravos eigentliche Leistung besteht aber darin, die origin story der Figur mit deren Publikations- und Rezeptionsgeschichte zu verschmelzen. Er verortet den buchstäblich zeitlosen Spirou im historischen Brüssel des Jahres 1939 – wo der Zeichner Rob-Vel ein Jahr zuvor die Figur erschaffen hatte. Wenn das geliebte Zimmermädchen Kassandra im Comic nun dem fast erwachsenen Spirou vorwirft, er interessiere sich mehr für "Tim und Struppi" als für die deutsch-polnischen Verhandlungen, die am Vorabend des Zweiten Weltkriegs in seinem Hotel stattfinden, dann kritisiert Bravo durch Kassandra auch die "unpolitische" Haltung der "Spirou"-Verleger und die ewige Adoleszenz vieler Leser.

Dennoch ist "Porträt eines Held als junger Tor" kein sprödes Lehrstück, sondern eine elegante Komödie. Immer wieder gelingen Bravo präzise vorbereitete Szenen, die an Lubitsch oder Wilder erinnern. Etwa wenn Spirous irres Eichhörnchen sich in ein Ferngespräch zwischen dem Nazi-Botschafter von Glaubitz und dessen Vorgesetzem einmischt ("Welch groteskes Gekicher..."). Oder wenn der Klatschreporter Fantasio mit einer Promi-Sexgeschichte in die Redaktionskonferenz platzt ("Caroline Delastre schläft mit Alphonse Choukroune iiiin... Brüssel, tadaaa!"), wo gerade über den frisch geschlossenen Hitler-Stalin-Pakt diskutiert wird.

Bravos Band ist im Original als viertes Album der formidablen "One-Shot"-Reihe erschienen, in der ständig wechselnde Autoren und Zeichner ihre persönlichen "Spirou"-Versionen erschaffen. Bei Carlsen wirft man diese Alben leider mit älteren "Spirou"-Geschichten in einer "Spezial"-Reihe zusammen, die editorisch ansonsten aber wenig zu wünschen übrig lässt. So enthält "Porträt eines Helden als junger Tor" interessante Making-of-Seiten und eine kurze Vorgeschichte zu dieser Vorgeschichte. Der junge Spirou entkommt darin pädophilen Priestern, ohne die Gefahr zu begreifen – 2008 entstanden und heute noch unheimlicher als damals.