"Astro City: Der gefallene Engel"
Metallermüdung: Steeljack hat die Pechvogelrolle satt
(© 2000 Juke Box Productions;
dt. Ausg.: © 2007 Panini Verlag-GmbH)
Herrschaften, selten hat es mir so viel Spaß gemacht, nach Jahren wieder in eine Serie einzusteigen! Auch wenn im Superhelden-Comic wohl mehr Quatsch produziert wird als in jedem anderen Genre, liefern einige helle Köpfe ab und an kleine Meisterwerke ab. Etwa Kurt Busiek in seiner 1995 gestarteten Serie "Astro City" – mit der ich, zugegeben, in ihren frühen Jahren wenig anfangen konnte.
In den USA werden die Stories über eine Stadt, in der seit dem 19. Jahrhundert Superhelden- und -schurken zum Alltag gehören, immer wieder als Rettung des Genres gefeiert. Im deutschsprachigen Raum jedoch konnte "Astro City" kaum Fans erobern, seit der Verlag Thomas Tilsner ("Speed Comics") 1999 mit der Übersetzung begann. Dort erschienen immerhin die ersten 13 Episoden, aufgeteilt in neun deutsche Hefte, 2001 allerdings wurde die Serie bei uns schon wieder eingestellt.
Mit der Graphic Novel "Der gefallene Engel" setzt Panini die deutsche Ausgabe nun fort, und zwar – wenn man das nach sechs Jahren Pause so nennen darf – nahtlos: Nach den 13 Tilsner-Bänden umfasst die in sich abgeschlossene "Engel"-Storyline nun Heft 14 bis 20.
Mea culpa: Ich bin seinerzeit schon nach dem ersten amerikanischen Sammelband ausgestiegen. Klar, die Stories in "Life in the Big City" waren pfiffig, aber Busieks anfangs zwischen Pathos und Ironie schlingernder Schreibstil und die betont episodische Struktur des ersten Buchs konnten mich nicht fesseln.
Doch nun kommt Carl Donewicz alias "the Steeljacketed Man" oder einfach "Steeljack": 800 Pfund lebender Stahl, eine wandelnde Metallskulptur, die aussieht wie Robert Mitchum in seinen 50ern und redet wie Sylvester Stallone in seinen wenigen guten Filmen: "Das erste, woran ich mich erinnere, ist, dass ich wegwollte", beschreibt Steeljack seine Jugend. Doch als er nach Jahrzehnten im Knast zurückkehrt nach Kiefer Square, das Hell's Kitchen von Astro City, erkennt er: "Hier ist es gemütlich wie in alten Schuhen". Busiek gelingen herrlich lakonische Off-Kommentare, die auch in der Übersetzung klasse klingen.Selbst wenn Steeljack am Ende seiner Weisheit ist, was bei ihm ziemlich schnell geht, fällt ihm immer noch ein: "Dazu hab ich nichts zu sagen. Also sag ich nichts."
Vielleicht wäre hier ein kurzer Exkurs für Leser angebracht, die noch nie von "Astro City" gehört haben? 1986 hatten Alan Moore und Frank Miller mit ihren subversiven Meta-Comic-Thrillern "Watchmen" respektive "The Dark Knight Returns" Sprengsätze aus Chuzpe und Intelligenz am müden und maroden Gebälk des Superheldengenres gezündet. Doch statt der Scharen neuer, frecherer Helden, die Moore und Miller mit diesem Knall anlocken wollten, irrten zunächst nur verlorene Seelen durch die Ruinen des Genres: brutale Psychos à la Spawn oder Pitt. Erst als Kurt Busiek (Text) und Alex Ross (Grafik) den Marvel-Kosmos 1994 im Comic-Roman "Marvels" von Grund auf neu erbauten (aus der ungewöhnlichen Perspektive eines normalsterblichen Fotoreporters), gelang der kreative Neubeginn. In der Einleitung zu "Der gefallene Engel" feiert der Revoluzzer Frank Miller deshalb jetzt den Retro-Fan Busiek.
In seiner eigenen Einleitung zum ersten "Astro City"-Band, "Life in the Big City", erklärte Busiek seinerzeit, es interessiere ihn nicht, "[what] it would be like if superheroes existed in our world, but what it could feel like if we could wander through theirs." Dabei verkaufte Busiek sein Konzept bescheiden und etwas zu billig. Denn bei aller Nostalgie hat er doch alle Konzepte des unfehlbaren, ultrapatriotischen Macho-Superhelden über Bord geworfen. Oft stellt er kleine Dinge und kleine Leuten in Vordergrund: Nicht der Showdown zwischen Superheld und Superschurke ist wichtig, sondern wie ein Übermensch Privatleben, Bürojob und intergalaktische Kämpfe unter einen Hut bringt oder wie eine schockierte Sekretärin den Kampf zwischen "guten" und "bösen" Mutanten erlebt.
In "Der gefallene Engel" zeigt Busiek seine Traumstadt, wie gesagt, aus der Sicht des Kleinganoven Carl "Steeljack" Donewicz. So wie die "Engel", wie Carls fromme Mama die Superhelden nennt, will er als Kind brave Bürger beschützen, gerät aber als Mitglied einer Jugendbande mörderisch in die Bredouille. Von einem mad scientist in eine wandelnde Skulptur aus schimmerndem Stahl verwandelt (in Astro City kein großes Ding), stellt "Steeljack" fest, dass er auf der schlechten Seite ohnehin schneller Arbeit findet als auf der guten. Ausgerechnet die "Engel" schnappen Carl und bringen ihn für 20 Jahre in den Knast. Wieder draußen, sucht er einen sauberen Job, versagt aber selbst als Tellerwäscher: "Schon mal versucht, mit nassen, seifigen Metallhänden zu spülen?" Da unterbreiten ihm seine alten Nachbarn vom "Kiefer Sqare" einen Vorschlag: Carl soll gegen Bares jenen Unbekannten fassen, der seit kurzem die kleinkriminellen Superschurken des Viertels einen nach dem anderen umbringt.
Was nun folgt, ist nicht immer logisch, aber mitreißend und vor allem entwaffnend charmant. Nicht was, sondern wie Busiek diesen Supergauner-Krimi erzählt, macht Carls Spurensuche zwischen Armenviertel und Superhelden-Hauptquartier zum Genuss. Oft wirkt die in sieben Heften bzw. Kapiteln erzählte Story wie ein Superheldenvariante der ausufernden Geschichten aus "Tausendundeiner Nacht": In den Haupterzählstrang flicht Busiek geschickt Carls Erinnerungen, die Bekenntnisse des tragisch gescheiterten Latino-Helden "El Hombre" oder die verrückte Vita des britischen Supergauners "Mock Turtle", eine liebevolle Parodie auf den Batman-Bösewicht "Mad Hatter" und eine Anspielung auf die ""falsche Suppenschildkröte" aus "Alice im Wunderland".
Nicht nur bei "Mock Turtle" zeigt sich Busieks Humor. Der Autor liebt Superhelden, aber nicht genug, um sich nicht über sie lustig zu machen. Selbst über seinen traurigen Protagonisten: Busiek und Zeichner Anderson zeigen, wie der alte "Steeljack" sich morgens unter der Dusche mit Stahlwolle Rostflecke wegscheuert und später Politur aufträgt.
Anders als Superman, der bekanntere "Man of Steel" und in vielem Carls genaues Gegenteil, besteht Carl Donewicz wirklich aus einer Art Stahl. Die Metallhaut macht ihn nicht nur fast unverwundbar, sondern auch zu einem wandelnden Spiegel. Immer wieder lassen Zeichner Brent Eric Anderson, Tuscher Will Blyberg und Kolorist Alex Sinclair in Steeljacks stoischem Antlitz die erregten Gesichter seiner Gesprächspartner aufblitzen. Die kleinen wie die großen Fische erkennen in diesem Verlierer buchstäblich sich und ihre Ängste wieder, fassen Vertrauen und erzählen ihre Geschichte. Über die äußere Reflexion gelangt Carl allmählich zur inneren. Er beginnt, zwei und zwei zusammenzuzählen, kann jedoch niemand von seinem Verdacht überzeugen. Als es zum Showdown mit dem Killer kommt, ist Steeljack ganz auf sich allein gestellt.
Die deutsche Fassung von "Astro City: Der gefallene Engel" ist im Mai 2007 bei Panini Comics erschienen, die Originalausgabe 2000 bei Wildstorm/DC. Das Coverdesign der US-Fassung, das den Look alter Groschenheftkrimis imitiert, wurde übernommen und stimmt hervorragend auf die Noir-Atmosphäre der Geschichte ein.
Astro City: Der gefallene Engel
Text: Kurt Busiek; dt. v. Gerlinde Althoff;
Grafik: Brent Eric Anderson u.a.
Panini 2007; 192 Seiten, 19,95 Euro.