Mittwoch, 7. März 2007
Machen Comics neurotisch?
Nein, Comics machen nicht neurotisch.
Sie machen es nur angenehmer, neurotisch zu sein.

Dazu gleich mehr. Zunächst aber:

Willkommen in meinem Blog "Der Comic-Neurotiker"!

"Der Comic-Neurotiker" ist ein Weblog über Comics und ab und zu auch mit Comics.

Was Sie hier finden werden:
  1. Rezensionen ausgewählter Comic-Neuerscheinungen, aber auch älterer oder hierzulande noch gar nicht veröffentlichter Comics, die ich gerade ganz furchtbar interessant finde
  2. Reflexionen über Comic-Kultur und Comic-Lektüre
  3. meine eigenen Cartoons, Comics und Kritzeleien (denn wie so viele Comic-Leser zeichne ich auch selbst ein bisschen. Nur so. Zum Spaß. Ab und zu. Entschuldigung.)
"Der Comic-Neurotiker" wendet sich an passionierte ebenso wie an gelegentliche Comic-Leser, aber auch an alle, die einfach gern wüssten, was es mit graphic novels und diesem ganzen Gerede über "die neuen Comics" auf sich hat.

So, so, denken Sie jetzt vielleicht, das ist ja schön. Aber was uns eigentlich interessiert, ist doch:

Was soll dieser bescheuerte Blog-Titel?

Ich könnte jetzt sagen: Ach, "Der Stadtneurotiker" hätte auch gepasst, aber der Titel war leider schon vergeben und, na ja, ich lese halt ziemlich viele Comics.

Oder: Neurotischer Titel und Freud'sches Ambiente sollen suggerieren, dass "Der Comic-Neurotiker" zwar Comics ernst nimmt, aber gleichzeitig versucht, sich selbst nicht zu ernst zu nehmen.

Das stimmt zwar durchaus. Für alle, die es ganz genau wissen wollen, folgt hier aber die komplizierte Version:
  1. Wie schon eingangs erwähnt, machen Comics das Leben als Neurotiker einfach angenehmer. Im Comic finden Neurotiker Trost, weil sie Menschen (oder anthropomorphe Tiere, Gemüse etc.) treffen, die unter denselben Problemen leiden wie sie selbst.
    Schließlich befassen Comics sich mit

    • Minderwertigkeitskomplexen ("Peanuts")
    • pubertären Machtphantasien ("Spider-Man")
    • pubertären Ängsten ("Black Hole")
    • sexuellen Träumen ("Barbarella")
    • schweren Traumata ("Batman")
    • Glaubenskrisen ("Blankets")
    • künstlerischen Selbstzweifeln ("Approximate Continuum Comics")
    • Verschwörungsphantasien ("20th Century Boys")
    • Rassismus ("Maus")
    • imaginären Freunden ("Calvin and Hobbes")
    • Drogen ("The Fabulous Furry Freak Brothers")
    • sexuellen Träumen ("Morbus Gravis")
    • Homophobie ("Der bewegte Mann")
    • Einsamkeit ("The Walking Dead")
    • Außenseiterstatus ("Hellboy")
    • Alkoholismus ("Hägar")
    • Essstörungen ("Garfield")
    • und natürlich sexuellen Träumen ("Alraune").

    (Ich könnte noch locker drei bis vier Bildschirmseiten so weitermachen und mit etwas Anstrengung acht bis neun.
    Es gibt natürlich auch komplett unneurotische Comics.
    Sie sind langweilig.)

    Kein Wunder also, dass sich viele Menschen in Comic-Figuren wiedererkennen. Dass sich zudem Zeichner und Autoren, also Personen aus Fleisch und Blut, mit derlei Problemen befassen – das beruhigt uns Neurotiker erst recht.

  2. Womöglich sagen Sie jetzt: "Na, mein lieber Herr Comic-Neurotiker, ich lese zwar auch Comics, aber neurotisch bin ich deshalb noch lange nicht!"
    Ha, das glauben aber auch nur Sie! Comic-Leser gelten, zumindest in Deutschland, per se als Neurotiker und sind oft sogar selbst schuld daran.
    Jeder halbwegs intelligente Comic-Freund ist sich schmerzlich der Tatsache bewusst, dass die meisten Deutschen alle Comics als Kinderkram oder seichteste Unterhaltung betrachten. Deshalb grübelt der Comic-Fan: Was halten wohl Leute von mir, die keine Comics lesen? Bestimmt denken sie: "Hmmm, er liest als Erwachsener Comics, da muss ja irgendwas nicht stimmen." Weshalb er sich dann aufführt wie der Missionar im Heidenland:
    "Hör mal, äh, was ich schon immer mal sagen wollte: Comics sind so spannend und intel-lek-tu-ell. Lies doch einfach mal ein paar. Ich leih Dir einige von meinen aus, okay?"
    Ahhh, Hilfe, Super-GAU! Tun Sie das, bitte, nie wieder!
    Viele Leute haben nie gelernt, Comics richtig zu lesen und fühlen sich von solchen wohlgemeinten, aber nicht erbetenen Angeboten im besten Fall gestört, im schlimmsten bedroht. (Und falls sie es doch können, haben sie vielleicht einfach keine Lust, sich "zum Spaß" mit Minderwertigkeitskomplexen, pubertären Machtphantasien, Glaubenskrisen, sexuellen Wunschträumen oder imaginären Freunden (s.o.) auseinander zu setzen.)

    In typischer, bereits von Freud beschriebener Neurotikermanier neigen Comic-Freunde aber zur Wiederholung:
    Comic-Fan: "Hier, schau mal, Alan Moores neue
                      graphic novel.Willst du..."

    Opfer:        "Kreisch!"
    O weh, das sieht wirklich verdächtig neurotisch aus.

    Vielleicht geht es auch anders: Man versteckt seine Comic-Lektüre nicht, spricht aber ab und zu so entspannt darüber, wie andere über die Champions League, die neue Leichenschnippler-TV-Serie oder die jüngste Britney-Spears-Dummheit. Und wer dann mehr über Comics wissen will, kommt schon von allein.

    Genau so sollte "Der Comic-Neurotiker" funktionieren.