Freitag, 13. Juli 2007
Maskenspiele
"Komm zurück, Mutter" von Paul Hornschemeier

Den Vater des kleinen Thomas zerreißt der Kummer
(© 2002–2004, 2007 Paul Hornschemeier;
dt. Ausg.: © 2007 Carlsen Verlag GmbH)


Ein Mann schwebt durch eine Felslandschaft. Sein Gesicht wirkt so leblos und traurig wie die Grün- und Brauntöne der Umgebung. Belauert von monströsen Kreaturen (mit Handschuhen), sucht er nach einer geliebten Person, mit der er in Gedanken spricht. Beispielsweise über eine Erinnerung, die ihn plagt: "Etwas von dem ich glaube, es könnte wichtig sein. Etwas, das wir gemeinsam erschaffen haben. Eine Puppe? Ein sprechendes Etwas? Etwas, das uns glücklich gemacht hat." Als der Schwebende an einen See kommt, ziehen ihn die Monster in die schwarze Flut.

Mit diesem abgründigen Prolog beginnt Paul Hornschemeiers Comic-Roman "Komm zurück, Mutter". Der schwebende Mann ist der depressive David Tennant. Die Person, die er sucht, ist seine an Krebs gestorbene Frau. Die "Puppe", die beide "gemeinsam erschaffen" haben, ist der kleine Sohn Thomas.

Nach dem Prolog des Vaters wechselt der Erzähler: Thomas ist der eigentliche Held der Geschichte. Inzwischen erwachsen, erinnert er sich an die dunkle Zeit, als er sieben Jahre alt war und nach dem Tod der Mutter den geistigen Verfall des Vaters verkraften musste.

Thomas schildert, wie er die Belastung zunächst spielerisch zu verarbeiten sucht: Er redet sich ein, Mama lebe nur einstweilen in einem unterirdischen Versteck. Ausstaffiert mit einer Löwenmaske und einem falschen Hermelinpelz, beides Geschenke der Mutter, agiert er als "Hüter des Reichs". Das heißt: von Haus, Garten und Grab.

Während David, Dozent für formale Logik, immer tiefer in Schwermut versinkt, ständig vor sich hin murmelt, das Haus verwahrlosen lässt und seine Vorlesungstermine vergisst, führt der kleine Thomas den Haushalt – so gut es einem Siebenjährigen eben möglich ist. Doch der Garten ist bald "voll welker dreckiger Dinge", und weil sich Thomas am Telefon verplappert, erfahren Mutters Bruder und dessen Frau, wie es um den Geisteszustand des Vaters steht. Sie überzeugen David Tennant, freiwillig in eine psychiatrische Klinik zu gehen und nehmen Thomas bei sich auf.

Der Junge schmiedet fortan Pläne, den Vater zu "retten". Onkel und Tante werden in seiner Fantasie zu Kater und Vogel, die dem Kind einen "Spezialbrei" servieren, "der dafür sorgt, dass du uns gern hast". Dann holt Thomas den Vater tatsächlich aus der Klinik. Und erst jetzt offenbart sich die ganze Tragik der Geschichte.

"Komm zurück, Mutter" ist der bislang beste Band in Carlsens noch recht junger Reihe "graphic novel". Wie so manches Meisterwerk des Comic-Romans ("Watchmen", "From Hell", "Jimmy Corrigan") eignet es sich nur bedingt für unerfahrene Leser. Andererseits demonstriert Autor und Zeichner Paul Hornschemeier mutigen Einsteigern hier beispielhaft, was im Comic möglich ist.

David und Thomas haben ihr Zentrum verloren: Ehefrau und Mutter. Sie fühlen sich überfordert, verletzt, der "normalen" Welt entrückt. In den Panels stehen sie verirrt am Rand, sind oft nur teilweise sichtbar, werden von den eigenen Worten aus dem Bild gedrängt oder gar von den Panelrändern zerteilt.

Logikexperte David, so erzählt der Sohn, war vor dem Tod seiner Frau ein Überraschungs-Bestseller gelungen: "Die Evolution der Symbole". Symbole und Bedeutungsebenen entwickeln sich auch in diesem Comic weiter, werden angepasst oder aufgegeben. Je nach Erzählperspektive wechselt Hornschemeier den Stil: Davids Alptraum-Prolog ist in einem eleganten, erwachsenen Cartoonstil gezeichnet und bedrückend trüb koloriert. Die Kindheitserinnerungen des erwachsenen Thomas zeigt Hornschemeier in realistisch-spröden Zeichnungen und leuchtenden Farben – vor nach wie vor trüben Hintergründen. Thomas eskapistische Fantasien zeichnet er wiederum rührend krakelig wie von Kinderhand, seine ausgefeilten Befreiungspläne dagegen wirken zwar naiv, aber präzise entworfen.

Maskiert wie der kleine Thomas ist auch dessen Geschichte, allerdings sehr viel aufwändiger. Einen Hinweis auf dieses Meta-Versteckspiel gibt allerdings schon der Prolog: "Manchmal,wenn ich traurig bin", denkt Thomas' offenkundig stets trauriger Vater dort, "kommt mir der Gedanke, das Leben war nur ein Werbespot für etwas viel Größeres, aber als wir's bestellt haben, hat es nicht funktioniert oder wurde gar nicht erst geliefert." Wer "Komm zurück, Mutter" zu Ende gelesen hat, wird diese Zeilen nie wieder vergessen.

Aber der Reihe nach: Hornschemeiers Comic trägt den Untertitel "Mit einer Einführung von Thomas Tennant". Tatsächlich stellt diese "Einführung" des nun erwachsenen Sohnes jedoch fast das gesamte Werk dar. Der eigentlichen Erzählung vorangestellt ist der Hinweis auf "Weitere Bücher in dieser Reihe", deren Titel sich später indes als Zitate aus Thomas Erinnerungen entpuppen. Die "Einführung" unterteilt Hornschemeier in drei Akte, auf die der befreiende Titel des ersten Kapitels folgt: "Wir sind alle erlöst" (ein weiteres Eigenzitat). Dann allerdings ist "Komm zurück, Mutter" auch schon beendet, statt des ersten oder gar weiterer Kapitel folgen Danksagungen und ein Kinderfoto des Zeichners mit seinem Vater. Dieses Foto wiederum weist eine bestürzende Ähnlichkeit zu den Protagonisten des Bandes auf.

Tatsächlich wirkt "Komm zurück, Mutter" so authentisch, dass man den Comic für autobiographisch halten muss. Ist Thomas Tennant selbst eine Maske, hinter der sich der reale Künstler Paul Hornschemeier verbirgt? Nein, so einfach ist es nicht. Wie Hornschemeier in Interviews verraten hat, entpricht das liebe- und respektvolle Verhältnis zwischen Thomas und David jenem zwischen Paul Hornschemeier und seinem Vater. Die Handlung der graphic novel jedoch ist nicht autobiographisch. Sie ist Beobachtungen und Ängsten entsprungen. Als wichtige Inspiration dienten dem Ex-Philosophiestudenten Hornschemeier ein Professor und dessen Frau:

"They had gone on a safari, and she had a malaria vaccination which she had an extremely adverse reaction to, pushing her [near] death. Just seeing this guy, in the middle of class, break down, someone whose entire life was about logic and control – very clear-cut things – really exposing this raw emotional side."
Gleichzeitig sei ihm klar geworden, "that one of my parents is going to die first, that one of these people is going to have to go on without this person who's become an everyday piece of their life." (Die Zitate stammen aus der Chicagoer Online-Studentenzeitung "The Phoenix".)

"Komm zurück, Mutter" (im Original: "Mother, Come Home") erschien ab 2002 in drei Teilen in Hornschemeiers US-Heftreihe "Forlorn Funnies" und 2004 gesammelt bei Dark Horse.

Die vom Schmutztitel über die Übersetzung bis hin zum Lettering (von Reprodukt-Chef Dirk Rehm) sorgfältig erstellte deutsche Ausgabe erschien im April 2007 als Hardcover bei Carlsen. Lediglich den klug gewählten akademischen und neutralen Look des Originaltitelbildes kopiert die deutsche Version leider nicht.


Komm zurück, Mutter
Text und Grafik: Paul Hornschemeier; dt. v. Gerlinde Althoff;
Carlsen 2007;144 Seiten, 16 Euro.