Donnerstag, 5. Juli 2007
Ellis im Flunkerland
Zu Band 1 der Serie "Global Frequency"

Zero Tolerance für Floskeln, aber Spaß an Techno-Blabla:
"Global Frequency: Planet in Flammen"

(© 2002, 2003, 2004 Warren Ellis / © 2004 DC Comics;
dt. Ausg.: © 2007 Panini Verlags GmbH)


Mindestens drei Dinge habe ich bei der Lektüre des ersten Bandes von Warren Ellis' Serie "Global Frequency" gelernt.

  1. Pflanzt man einem Menschen einen bionischen Roboterarm ein, müssen "die Knochen und das Gewebe [...] verstärkt und unterstützt werden, sonst reißt der neue Arm bei der ersten Bewegung einfach ab."

  2. Im Thingvellir-Tal wurden die ersten isländischen Parlamente "vor einer schwarzen Felswand [abgehalten], deren gewellte Oberfläche die Stimme des Redners verstärkte."

  3. "Die Butthole Surfers versuchten mal, eine Niederfrequenz-P.A. zu bauen, die Konzertbesucher dazu bringen sollte, sich einzuscheißen."
Wer sich wie ich für solche Nachrichten aus der schummrigen Welt zwischen Wissenschaft und Kinderkram interessiert (und außerdem Baron Münchhausen für eine ziemlich coole Sau hält), der wird mit "Global Frequency" trotz aller Schwächen Spaß haben.

Band 1, im Juni bei Panini auf Deutsch erschienen, enthält die ersten sechs von insgesamt zwölf 2002 bis 2003 veröffentlichten Heften. „Global Frequency“ ist der Name einer Geheimorganisation, deren 1001 internationale Mitglieder von der Anführerin Miranda Zero handverlesen wurden, darunter Scharfschützen, Ärzte und Magier, Experten für Dechiffrierung, Biowaffen und Memtheorie.

"Global Frequency", finanziert u. a. von den G-8-Staaten, tritt auf den Plan, wenn in letzter Minute Katastrophen abgewendet werden müssen, bei denen alle Schulweisheit und Militärfeuerkraft versagt: Ein monströser Maschinensoldat ("Ich habe einen Chip im Hirn, der sexuelle Lust simuliert, wenn ich Menschen töte") bedroht Los Angeles. Ein außerirdisches Signal verwandelt New Yorker in aggressive Schwarmtiere. Nach dem Brandanschlag auf eine Kirche verfallen alle Bewohner eines isländischen Dorfs dem Wahnsinn. Und dann sind da noch die Internetsekte in Melbourne, die Bio-Bombe in London und das Wurmloch in San Francisco. Kurz: "Akte X" meets "Mission: Impossible".

Ob und wie "Global Frequency" diese Probleme löst, erzählt der britische Autor Warren Ellis ("Transmetropolitan", "Desolation Jones") in sechs in sich abgeschlossenen Episoden, die jeweils von einem anderen Zeichner illustriert werden. Dabei liefern die bekanntesten Namen leider nicht die besten Arbeiten ab: "Preacher"-Zeichner Steve Dillon schludert teilweise bei den Gesichtern, eine noch viel größere Enttäuschung ist aber "V for Vendetta"-Künstler David Lloyd: Sein spröder und hier manchmal auch unbeholfener Stil passt überhaupt nicht zur ganz auf Geschwindigkeit getrimmten letzten Story.

Glenn Fabry (Maler der berühmten "Preacher"-Cover), Roy A. Martinez und der britische Comic-Veteran Garry Leach (siehe Abbildung oben) machen einen guten Job, am besten hat mir aber der Stil von Jon J Muth ("Moonshadow") gefallen: Seine locker gepinselten und getupften, in Andeutungen verharrenden Bilder passen perfekt zur besten Geschichte des Bandes, "Der weite Himmel", einem Psychotrip im verschneiten Island, den Warren Ellis mit sarkastischen Dialogen würzt.

Die Stärke der Serie ist zugleich ihre Schwäche: Kaum hat ein Einsatz begonnen, ist er auch schon wieder zu Ende. Die sechs, jeweils in sich abgeschlossenen Geschichten bieten kurzweilige, schnelle Lektüre ohne Tiefgang. Außer Miranda Zero und ihrer Koordinatorin Aleph wechselt mit jeder Episode das komplette Personal, so dass man nie weiß, ob ihre Mitstreiter den jeweiligen Einsatz überleben werden. Das klingt aufregender, als es ist, denn aufgrund der kurzatmigen Erzählweise schließt man keine der Figuren vor ihrem Exitus ins Herz.

Was an der Serie "politisch provokant" sein soll, wie es ein Zitat des US-Magazins "Entertainment Weekly" auf dem Umschlag verspricht, weiß ich nicht. Für Amerikaner vielleicht der lesbische Kuss in der dritten Story? Mit der politischen Realität hat Ellis spannende Flunkerei nämlich wenig zu tun. Die Bösewichter sind Aliens, Computerfreaks oder zynische Militärs. Hier wird also lediglich das Schurkenarsenal der jüngeren Science-Fiction geplündert. Einige Geschichten sind dennoch absurd ernst erzählt, in anderen gelingen Ellis aber bissige Gags. Der beste: Hinter der Sekte der "Einhundert Himmlischen" verbirgt sich "eigentlich eine Internetberatungsfirma". Ihren Terrorplan samt politischen Forderungen haben die Psychopathen nur auf ihrer Homepage ankündigt, die allerdings kein Mensch je besucht – außer der "Global Frequency".

Übrigens: 2004 plante das "Warner Bros. Television Network" eine US-Fernsehserie nach Ellis' Vorlage, mit Michelle Forbes ("Star Trek – TNG", "Kalifornia") als Miranda Zero. Tatsächlich wurde sogar ein Pilotfilm gedreht, allerdings legte der Sender die auf 13 Folgen angelegte Serie dann kommentarlos auf Eis. 2005 gelangte der Pilot illegal ins Netz und entwickelte sich zum Download-Renner. Daraufhin erklärten die Brüder Warner, für sie sei "Global Frequency" nun endgültig gestorben und jede weitere Auswertung (etwa auf DVD) könne man sich abschminken.

Immerhin ist Warren Ellis' Kommentar dazu lustig (zitiert nach Wired):
„[The TV pilot is] all over the net right now, on that filthy BitTorrent thing which is illegal and nasty and I certainly don't use it to watch The Daily Show or anything.... I don't have the torrent link, and I haven't seen the pilot, so don't ask. But feel free to buy the book."



"Global Frequency [Bd. 1]: Planet in Flammen";
Text: Warren Ellis (dt. v. Bernd Kronsbein),
Grafik: Steve Dillon u. a.;
Panini Comics 2007,148 Seiten, 16,95 Euro.