Sonntag, 24. Juni 2007
Meine Krimi-Comic-Top-12 für die einsame Insel
Teil 3 von 4
(Fortsetzung von Teil 2)

Platz 4: Der Killer [Bd. 1]: Querschläger (1998)
Text: Matz   Grafik: Luc Jacamon

(© 1998 Casterman / © Egmont vgs Verlagsgesellschaft mbH)


Bevor jetzt jemand "Jean-Pierre Melville!" schreit: Non, messieursdames!, bloß weil eine Comic-Serie "Der Killer" heißt und aus Frankreich kommt, muss sie noch lange keine Kopie von Melvilles 67er Filmklassiker "Der eiskalte Engel" sein. Weder folgt der Protagonist einem Samurai-Verhaltenskodex noch sieht er so fesch aus wie Alain Delon, und schweigsam ist dieser Killer schon mal gar nicht, stattdessen redet er im Off-Kommentar fast ununterbrochen.

"Querschläger", der erste "Killer"-Band, entwickelte sich 1998 im französischsprachigen Raum auch ohne dicke Werbekampagne und größtenteils durch Mundpropaganda zum kleinen Überraschungs-Hit. Den vielbeschworenen "Kultstatus" haben Autor Matz und Zeichner Jacomon (der hier sein beeindruckendes Debüt gab) bis heute nicht erlangt, allerdings zögerte der renommierte Casterman-Verlag nicht, rasch ihren Sci-Fi-Medienthriller-Serie "Cyclopes" nachzuschieben, als "Der Killer" nach fünf Bänden ein angemessen zynisches Ende gefunden hatte. Nur nebenbei: Warum aus Frankreich, mit seiner reichen Krimi-Tradition in Literatur und Kino, so wenige nennenswerte Kriminal-Comics kommen, ist mir ein Rätsel.

Ich lernte den "Killer" vor vier Jahren kennen, als mir ein Freund einige Ausgaben des französischen Comic-Magazins "Bo Doï" auslieh, in denen der letzte Teil der Geschichte in Fortsetzungen erschien. Die Kombination aus nüchternem Tonfall und hypnotisch filmischen Panels gefiel mir sofort. "Der Killer" ist ein Augenschmaus: klare, leicht stilisierte Zeichnungen mit prächtigen Schatteneffekten und einer atmosphärischen Kolorierung, die beweist, dass auch bunt äußerst noir sein kann. In der Seitenaufteilung wählen Matz und Jacomon ungewöhnlich häufig schmale Hochkantformate, was diese Passagen buchstäblich beklemmend macht. Wie schon erwähnt, führt der Killer gern Selbstgespräche, wenn er dann aber wirklich zur Tat schreitet, fällt seitenlang kein Wort. Diese stummen Attacken (darunter der Unterwasseranschlag auf einen Taucher) sind echte "Killerszenen", perfekt in Bildaufbau, Montage und Timing.

Der erste Band schildert in Rückblenden die Karriere des Killers, während er auf sein aktuelles Opfer lauert. Dieser Auftrag droht dem Profi zum Verhängnis zu werden, nicht nur, weil ihm beim Abdrücken der Zufall dazwischenkommt.

Der Killer sieht aus wie ein ehemaliger Jurastudent, denn genau das ist er, wie wir in Rückblenden erfahren. Er kennt Skrupel, aber er kennt auch gut funktionierende Verdrängungsmechanismen. Er redet wenig, doch in seinem Kopf rattert es unentwegt. In Off-Kommentaren legt er sich endlose Rechtfertigungen und Entschuldigungen für seine Arbeit zurecht, gegen Hitlers Helfer sei er ja ein Waisenknabe, und mit Religion soll ihm auch keiner kommen, denn für den Killer ist Gott längst "vorbestraft“.

Wie könnte jemand zum Profikiller werden, wie würde er arbeiten, wie seinen Lebensabend planen? All diese Fragen beantwortet Matz – der behauptet, keine echten Killer zu kennen – zufriedenstellend in seinem Szenario. Für Ironie ist darin kein Platz. Man gewinnt den Killer nicht lieb, aber man will auch nicht, dass er gefasst wird. Es ist einfach zu faszinierend, wie routiniert er in dieser Schattenwelt agiert. Wäre "Der Killer" ein Romanheld, er stünde zwischen Patricia Highsmith' autodidaktischem Mörder-Dandy Ripley und Gary Dishers Berufsverbrecher Wyatt.

"Der Killer" alias "Le Tueur" wurde im Original bei Casterman veröffentlicht, die gute deutsche Übersetzung (fünf schnieke Hardcover-Bände) erschien bei Ehapa. Außerdem gibt es eine sehenswerte Umsetzung als Webcomic.



3. Scene of the Crime: A Little Piece of Goodnight (1998/1999)
Text: Ed Brubaker   Grafik: Michael Lark (Vorzeichnung und Tusche),
                                    Sean Phillips (Tusche),
                                    James Sinclair (Farben)

(© 1998/1999 Ed Brubaker and Michael Lark / © 2000 DC Comics)


Von allen Comics auf dieser Liste ist "Scene of the Crime" vielleicht der unspektakulärste: keine Superhelden, keine Sci-Fi- oder Horroranleihen, keine schrillen Charaktere und keine grafischen Experimente. Dennoch gilt die ursprünglich in vier Heften erschienene graphic novel als Paradebeispiel eines guten Krimi-Comics. Der Grund: "Scene of the Crime" bewies 1998, dass es möglich ist, eine klassische Hardboiled-Detektivgeschichte auf Roman-Niveau als Comic zu erzählen und das Genre dabei auch noch behutsam zu modernisieren.

Worum geht’s? Jack Herriman, Polizistensohn und Ex-Junkie, schlägt sich in San Francisco als Privatdetektiv durch. Ein ehemaliger Kollege seines Vaters bittet ihn, nach der vermissten Schwester einer Freundin zu suchen. Jacks Recherchen führen ihn zu einer Sekte, und wenig später spürt er die gesuchte Maggie in einem Motel auf. Er überzeugt die junge Frau, Kontakt zu ihrer Familie aufzunehmen. Am nächsten Morgen jedoch liegt Maggie mit drei Kugeln im Rücken in ihrem Motelzimmer, woraufhin Jack sich auf die Jagd nach ihrem Mörder macht.

Die Ausgangssitation ist so klassisch, dass sie fast klischeehaft wirkt. Dazu kommt, dass viele Sätze aus Jacks Off-Kommentar direkt aus einem Roman Raymond Chandlers, Ross MacDonalds oder eines ihrer Epigonen stammen könnten. Etwa der Auftakt:

"I hadn't seen Paul Raymonds in over three years, and I would have been more than happy to keep it that way. It was around 4:30 in the morning and I was out wandering the streets. A recent case had gone particularly bad, and it had been keeping me up nights."

Der Comic-Szenarist Ed Brubaker betont in Interviews immer wieder seine Verehrung für den Schriftsteller Ross MacDonald. Tatsächlich steht "Scene of the Crime" den Romanen von MacDonald wesentlich näher als jenen der Genre-Überväter Dashiell Hammett und Raymond Chandler. MacDonald zeigte ein deutlich stärkeres Interesse an der Psyche seiner Figuren. Er übernahm zwar den lakonischen Stil seiner Vorgänger, entfernte sich aber über die Jahre immer weiter von deren beißender Ironie.

Brubakers Szenario hat zwar sarkastischen Witz, meidet aber konsequent Coolness-Manierismen. Ähnlich wie in vielen MacDonald-Romanen, entpuppt sich der Fall auch in "Scene of the Crime" letztlich als Familientragödie. Hier freilich geht Brubaker einen Schritt weiter als sein Vorbild: Jack Herrimans starke Sympathie für die ermordete Maggie rührt daher, dass auch er unter der Erinnerung an seine schmerzvolle Vergangenheit leidet. Als Kind muss er mitansehen, wie sein Vater von einer Autobombe zerrissen wird, die eigentlich für dessen korrupten Kollegen gedacht war. Die Explosion raubt Jack ein Auge, wirft ihn aus der Bahn und macht ihn zum gewalttätigen Drogenabhängigen. Während er Jahre später, inzwischen wieder clean, nach Maggies Mörder sucht, müht er sich zugleich, mit sich selbst ins Reine zu kommen. Interessant: Der Autor Brubaker geriet als Jugendlicher selbst auf die schiefe Bahn, landete sogar im Gefängnis und fand durch das Lesen und Schreiben von Kriminalstorys ein Ventil – ähnlich wie der "L. A. Confidential"-Autor James Ellroy.

Noch etwas unterscheidet Brubakers Comic-Krimi von den Romanen der Hardboiled-Schule: Anders als deren einsame Helden ist Jack Herriman von einer Art Patchwork-Familie umgeben. Sein Detektivbüro liegt über der Wohnung seiner Ersatzeltern: Jacks Onkel Knut Herriman und dessen Langzeitverlobte Molly. Knut, ein legendärer Tatort-Fotograf, der einst den (realen) Konkurrenten Weegee verprügelt haben soll, betreibt im selben Haus die Foto-Gallerie "Scene of the Crime", die dem Comic den Titel gibt. Dann sind da noch Jacks Kumpel und – erfolgreicherer - Kollege Steve Ellington und die Ex-Freundin Gwen, die immer noch rätselt, warum Jack sie vor Jahren ohne ein Wort sitzen ließ. Durch diesen sympathischen Mikrokosmos erinnert die graphic novel an Pilotfilme guter TV-Serien. Um so bedauerlicher, dass bis auf die Kurzgeschichte "God & Sinners" bis heute keine Fortsetzung erschienen ist.

Kurz zur Optik: James Sinclairs Kolorierung ist mir eine Spur zu farbenfroh und harmoniert nicht immer mit den Film-Noir-Schatten und -Perspektiven seiner Kollegen Lark und Phillips. Der etwas spröde und dennoch hoch realistische Stil der Vorzeichnungen von Michael Lark passt hingegen bestens zum Fotografie-Thema der Geschichte.

"Scene of the Crime" erschien unter dem "Vertigo"-Label bei DC Comics. Der Band enthält auch die herbe Weihnachtsgeschichte "God & Sinners". Eine deutsche Übersetzung ist bei Speed Comics erschienen.



2. Kling Klang Klatch (1992)
Text: Ian McDonald   Grafik: David Lyttleton

(Text © Ian McDonald 1992 / Illustrations © David Lyttleton 1992)

Zwar glaube ich fest daran, dass "Kling Klang Klatch" nicht als Roman, Kino-Epos, TV-Serie oder Computerspiel, sondern nur als Comic zur Welt kommen konnte. Dennoch bietet sich ein Vergleich mit zwei Filmen an: Stellen Sie sich eine Mischung aus "Blade Runner" und "Toy Story" vor, dann ahnen Sie, was der nordirische Sci-Fi-Autor Ian McDonald und der englische "Punch"-Cartoonist David Lyttleton hier gezaubert haben. Einen satrischen Cyberpunk-Krimi, in dem man bei jeder Lektüre neue Gags entdeckt.

Je weiter die Story fortschreitet, desto mehr verabschiedet sich der Illustrator Lyttleton vom klassischen Comic-Layout und lässt die Figuren über quietschbunte, ganzseitige Wimmelbilder tollen. Die Kolorierung erinnert mich an schmuddeliges Bonbonpapier, was ja auch wunderbar zu McDonalds Story passt:

"Kling Klang Klatch" hat jemand in roter Farbe an eine Mauer geschmiert, darunter schwimmt in einem Bottich die aufgeschlitzte Leiche der Panda-Teddybärin Ling-Ling Mae. Willkommen in Paralleluniversum der Megastadt Bear City, wo Teddys, Plastikpuppen, Roboter und andere beseelte Spielzeuge zusammenleben. Nicht besonders friedlich allerdings und schon gar nicht brav: Die Transformer-Bots (eine Parodie auf die Transformers-Spielzeuge) predigen Maschinen-Marxismus und drohen mit Streik, die Bimbie-Puppen prostituieren sich in Massagesalons, die tumben Mucho-Macho-Actionfiguren massakrieren sich in endlosen Bandenkriegen, die "weißen" Teddys diskriminieren die chinesischen Pandas – und schlachten sie neuerdings offenbar auch brutal ab. Der Mord an Ling-Ling, "Tänzerin" in einem Animier-Schuppen, ruft den brummigen Inspector Marcus McBear auf den Plan, der uns in schrägen Chandlerismen durch die Geschichte führt ("It's been a bitch of a day on the mean streets" oder noch besser: "It would make me as popular with the chief as a fart in a spacesuit."). Wie sich bei der Obduktion zeigt, war Ling-Ling schwanger – von keinem Geringeren als dem Sohn des einflussreichen Bärenbonzen Harvey Ursini. Als McBear sich bei der Spurensuche mit einem EDV-Kollegen in den Cyberspace von Papa Ursini hackt, befördert ihn ein dummer Zufall ins Jenseits.

Woraufhin die Geschichte noch ein Umdrehung abgedrehter wird. Dabei ist sie schon vorher verrückt genug: McBears vernunftbegabtes Roboter-Flugzeug hat Abschlüsse in Politologie und Stress-Management, fragt den gestressten Ermittler, ob er "darüber reden" möchte, fordert ansonsten aber auch gern und oft den Sturz der Bärgeoisie. Möbelpacker zitieren Dire-Straits-Songs, der Inspector flucht gern mit Tom-Waits-Lyrics ("Heartbreak and psoriasis!" aus dem Song "Step Right Up") und putscht sich mit Zuckertütchen auf. Außerdem kritisiert er seine Schöpfer McDonald und Lyttleton, weil sie ihn nur als harten Bullen zeigen. Um dem abzuhelfen, bestellt er Autor und Zeichner zu sich nach Haus in die Vorstadt und stellt ihnen Frau und Kinderchen vor.

Das Verblüffendste an diesem herrlichen Unfug: Der Wahnsinn hat Methode. McDonald albert in seinem Szenario nicht einfach herum, er entwirft ein – nach eigenen Regeln – funktionierendes Universum und lässt McBear darin wie in einem normalen Krimi nach Hinweisen und Spuren fahnden, bis er den Fall (nach seiner Auferstehung von den Scheintoten) zu einem befriedigenden Abschluss bringt. Dann betrinkt sich McBear in einer Bar mit lebenden Instrumenten, bis das Klavier von der Bühne kotzt.

"Kling Klang Klatch" kam 1992 in Großbritannien bei Gollancz und in den USA bei Dark Horse heraus. Die deutsche Ausgabe erschien noch im selben Jahr bei Carlsen (als teures und später verramschtes Hardcover...). Zum Glück ist die deutsche Übersetzung insgesamt nicht so schnarchig, wie's der Titel "Das Kling-Klang-Geheimnis" vermuten lässt. Vom britischen Sprachwitz geht dennoch einiges verloren.

[Fortsetzung in Teil 4]