Montag, 26. Januar 2009
Best of 2008
Platz 5: "Die Sache mit Sorge"
Text und Grafik: Isabel Kreitz; Verlag: Carlsen

[Zu Platz 6]

(© 2008 Carlsen Verlag GmbH)


Beim Durchblättern sieht erst einmal alles sensationell aus: 244 Seiten voll detailreicher Bleistiftzeichnungen, in denen das Tokio des Jahres 1941 wiederaufersteht, wimmelnde Panoramapanels und einige schöne Montagen – großes Kino auf Papier! Beginnt man dann aber zu lesen, bemerkt man die Probleme: Gesichter wirken maskenhaft, Gesten steif. Und dann diese gezeichneten Zeitzeugen, die sich zwischendurch in "Interview"-Bröckchen zu Wort melden – vade retro, Guido Knopp!

Und dann liest man "Die Sache mit Sorge" zu Ende und stellt überrascht fest, dass einige dieser Schwächen Stärken sind und dass Isabel Kreitz wohl der beste deutsche Comic 2008 gelungen ist.

Anders als der Untertitel "Stalins Spion in Tokio" vermuten lässt, konzentriert sich Kreitz nämlich keineswegs auf den Journalisten Richard Sorge, der Moskau 1941 vor Hitlers geplantem Überfall auf die UdSSR warnte, auf Unglauben stieß und nach seiner Enttarnung von den Russen fallen gelassen und von den Japanern hingerichtet wurde. Nein, die Thomas-Mann-Verehrerin Kreitz (ihr "Buddenbrooks"-Comic scheiterte bislang am Dünkel des Vorlagenverlages) erforscht die Luxus-Enklave der deutschen Botschaft in Tokio und zeichnet sie als eine Art Nazi-"Zauberberg". Dessen hell- bis dunkelbraune Herren befassen sich – fern von Berlin – lieber mit Klatsch und Konzerten als mit Krieg und Politik. Als Spötter und Spion irrlichtert Richard Sorge am Rande dieser Welt herum. Seiner Romanze mit der zur Botschafts-Menagerie gehörigen Musikerin Eta Harich-Schneider räumt Kreitz dabei ebenso viel Raum ein wie seiner Agententätigkeit.

Kreitz' Hirohito-Tokio und all seine Bewohner wirken auf den ersten Blick fast fotorealistisch, stecken aber voll fiebrig flirrender Schraffuren – so wie Historie großenteils aus trügerischen Erinnerungen besteht. Ebenso fügt sich aus den Schilderungen der Zeitzeugen bis zuletzt kein klares Bild des Reporters, Idealisten, Säufers und Schürzenjägers Richard Sorge zusammen: Jeder Beteiligte erzählt nur seine Geschichte.

In Szenario wie Grafik zwingt Kreitz den Leser zur Distanz. So gelingt ihr nicht nur ein subtiles Zeit- und Milieuporträt, sondern auch ein intelligenter Gegenentwurf zum History-Infotainment Knopp'scher Prägung.

[Zu Platz 4]