Samstag, 21. Juni 2008
Browserunabhängig
"Comicgate-Magazin Nr. 3"


Wer tiefstapeln will, muss erst einmal eine gewisse Fallhöhe erreicht haben. Frauke Pfeiffer und Thomas Kögel dürfen sich aber getrost in Understatement üben: Ihr "Comicgate" ist eine der besten deutschsprachigen Websites zur Neunten Kunst. Und wenn sie ihren Printableger "Comicgate-Magazin" im Editorial "zwischen Fachmagazin und Fanzine, zwischen ernsthaft und albern, zwischen Anspruch und Hobbyprojekt" einordnen, um Kritikern prophylaktisch den Wind aus den Segeln zu nehmen, dann haben sie es eigentlich nicht nötig.

Die Website "Comicgate", online seit Sommer 2000, ist kein stromlinienförmiges Informationsangebot à la "Splashcomics", sondern eine wuchernde Mischung aus News, Kritiken, Interviews, Webcomics und Archiven. Neben den ausführlichen Rezensionen deutsch- und englischsprachiger Neuerscheinungen abseits des Mainstream empfehle ich besonders das intelligente Newsblog "Welt am Draht" und seinen frecheren Festival-Ableger "Messe am Draht".

Seit 2006 bringt das Team um Pfeiffer und Kögel einmal pro Jahr sein im handlichen Din-A-5-Format gedrucktes "Comicgate-Magazin" heraus. In der Kombination von Interviews, Rezensionen und exklusiven Comic-Seiten orientiert es sich am Online-Pendant, kommt allerdings in Aufbau und Layout wesentlich aufgeräumter daher und bietet auch Hintergrundartikel.

Zum 13. Comic-Salon in Erlangen ist vor einigen Wochen der dritte Streich erschienen: mit circa 130 Seiten, davon 49 Comic-Seiten, gut eineinhalbmal so umfangreich wie die Vorgänger.
Pièce de résistance ist diesmal Thomas Kögels umfangreicher, gut recherchierter Artikel über "Scanlations & Co": Fans übersetzen Mangas, die bislang nur im japanischen Original vorliegen und stellen die eingescannten Seiten illegal ins Netz. Ein auf den ersten Blick sehr spezielles Thema, allerdings geht Kögel auch auf die Piraterieprobleme der US-Großverlage ein und zeigt anhand der Reaktionen deutscher Verlagsvertreter, dass zumindest ein Teil des Comic-Markts stramm in Richtung Web marschiert. (Als Ergänzung empfehle ich Paul Gravetts Text zum britischen Übersetzungsprojekt Comic Influx, das einen etwas anderen Weg beschreitet.)

Ebenfalls äußerst lesenswert sind Frauke Pfeiffers Interviews mit Michael "Mille" Möller, einem der beiden Köpfe des Verlags Schwarzer Turm ("Alraune", "Usagi Yojimbo"), und dem Bielefelder Zeichner Klaus Scherwinski, einem Autodidakten, der nach ersten Gehversuchen in Deutschland (erinnert sich noch jemand ans "Nude Cover" seiner Serie "Kopeck"?) inzwischen in den USA publiziert ("Heavy Metal", "Transformers"). Pfeiffer spart sich Geplänkel, spricht auch mal die schnöde Ökonomie hinter der hehren Kunst an und stellt einfach Fragen, die wirklich interessieren: Die Porno-Erfolge von "Schwarzer Turm" kommen schon nach wenigen Sätzen zur Sprache, und ob es beim "Transformers"-Zeichnen "zu jedem Roboter ein Datenblatt" gibt, will ich auch wissen (doch, ehrlich).

Wer sich bislang nicht mit Tokios bekanntester Trickfilmschmiede befasst hat (und deshalb Geniestreiche wie "Chihiros Reise ins Zauberland" und "Die letzten Glühwürmchen" noch vor sich), der findet in Christopher Büntes Artikel "Studio Ghibli unter der Lupe" eine interessante Chronik. Mir freilich bleibt der Text ein bisschen zu nett. Ich bin – wie so viele abendländische Nerds – seit Ende der 90er kritischer Fan des Studios. Als solcher finde ich es schade, dass die Besorgnis erregende Kreativkrise, in der Ghibli seit Jahren steckt, im Text nur angedeutet wird. Man gewähre mir drum dieses kurze, herzgefühlte Lamento: Die Ghibli-Genies Miyazaki und Takahata haben immer noch keinen Nachfolger gefunden. Hoffungsträger Yoshifumi Kondou ("Stimme des Herzens") starb 1998 mit nur 47 Jahren (gerüchteweise an Überarbeitung), Miyazakis Sohn Goro ("Die Chroniken von Erdsee") ist mit Papa verkracht und hat nicht dessen Talent geerbt, und Hiroyuki Morita hat bislang nur den bestenfalls passablen Kinderfilm "Das Königreich der Katzen" abgeliefert. Vielleicht geht’s nur mir so, aber den alten Ghibli-Charme finde ich inzwischen eher bei einem Konkurrenz-Anime wie "Das Mädchen, das durch die Zeit sprang". Okay, Ende des herzgefühlten Lamentos. (Schnief.)

Eine schöne Ergänzung zum Artikel ist der – um eine Vorbemerkung ergänzte – Auszug aus Dirk Schwiegers preisgekrönter Comic-Reportage "Moresukine" (gedruckt bei Reprodukt, online hier). Schwieger besucht darin das "Studio Ghibli Museum", das offenbar eher einem Erlebnispark ähnelt. Außerdem verlost "Comicgate" unter Lesern bis zum 31.7.2008 drei Doppel-DVDs des jüngsten Ghibli-Films "Die Chroniken von Erdsee".

Im Beitrag "Guter Stoff?" befasst sich Andreas Völlinger betont neutral mit der Welle neuer Fantasy-, Kinder- und Jugendroman-Adaptionen im Comic. Freilich schreien die Zitate einiger Verlags-Entscheider fast nach einer Glosse: Da werden dubiose Konzepte von gestern ausgepackt (Comic-Umsetzungen als Surrogat "für Lesefaule") und hakelige Hoffnungen beschworen (Bestseller-Adaptionen als Weg ins Herz skeptischer Buchhändler). Man kann nur hoffen, dass die guten Leute wissen, dass nicht jeder Literatur-Comic automatisch ein literarischer Comic ist. Isabel Kreitz, eine der wenigen Produzentinnen konstant exzellenter Literaturadaptionen, äußert sich im Anschluss in einem spannenden Interview zu ihren Arbeiten "Die Entdeckung der Currywurst" und "Der 35. Mai" (und zu ihrer geplanten "Buddenbrooks"-Interpretation, die wegen der Dünkel der Rechteinhaber wohl als eines der großen gescheiterten Werke in die Comic-Historie eingehen wird).

Von seiner besten Seite zeigt sich das Konzept "Zwischen Fachmagazin und Fanzine" im "Comicgate"-Rezensionsteil. Hier empfiehlt die Redaktion neue und unterschätzte "Comics für die Insel". Während ein monatlich erscheinendes Fachblatt hier fast nur Neuerscheinungen auf dem deutschen Markt vorstellen könnte, serviert "Comicgate" eine erfrischend subjektive, dabei aber sehr abwechslungsreiche Auswahl aktueller angelsächsischer Originale und deutscher Übersetzungen. Von der surrealen Superheldenparodie "The Umbrella Academy" (YES! Großer Fan!) über das Alben-Experiment "Quintett" und den epischen Bergsteiger-Manga "Gipfel der Götter" bis hin zur Indie-Anthologie "Awesome" werden hier außergewöhnliche Comics vorgestellt – ohne akademisches Geschwurbel und Fanboy-Blabla.

Auf die "normalen" Rezensionen folgt eine neue Episode von Jan Dinter und Manuel Clavels "Comic-Duett" (eine ältere Online-Episode gibt’s im Netz). Darin treten die Kritiker höchstselbst als Comic-Figuren auf und kabbeln sich in vielen, vielen Sprechblasen über die Endzeitserie "Wasteland" (dt. bei Modern Tales). So witzig ich die Zeichnungen und so geistreich ich die Kritik für sich genommen finde, so unpraktisch erscheint mir das Konzept. Comic-Besprechungen in Comic-Form halte ich nur für sinnvoll, wenn die Rezensenten kommentierend durch Original-Panels stiefeln dürften (also ähnlich wie Oliver Kalkofe in seinen TV-Verrissen). Da das Copyright dies wohl verbietet, kann das Comic-Duo seinen amüsanten Dialog meinethalben auch in reiner Textform vortragen.

Womit wir bei den Comic-Seiten des Magazins wären: als Auflockerung zwischen den teils umfangreichen Textbeiträgen und als Forum für Newcomer eine feine Idee, zumal es unter den Beiträgen keinen Aussetzer gibt. Die erstmals ins Deutsche übersetzte Kurzgeschichte "Underground: Abgestürzt" von "Whiteout"-Zeichner Steve Lieber ist nicht der stärkste Beitrag des Heftes. Vielleicht liegt's an meiner mangelnden Reife, aber am meisten Spaß bereitet haben mir die hinreißend albernen Stories "Mary Jenkins Brown – Okkultistische Detektivin" von Anna Maria Jung und "Das Ende der Monarchie" von Bastian "Lapinot" Baier. Speziell graphisch überzeugen "Monsterjagd" von Füleki und Völlinger, "Night of the Living Death Metal" von Hoffmann und Töpke sowie das schräge "Schrottbot und Max: Für eine Hand voll Kroketten" von Alexander Gellner, der auch das "Comicgate"-Cover gestaltet hat – übrigens: das erste richtig gute.

"Comicgate-Magazin Nr. 3" gibt es im Fachhandel oder frisch vom Erzeuger.



"Comicgate-Magazin Nr. 3"
Pfeiffer und Kögel GbR 2008; 130 Seiten, 5 Euro.