Montag, 17. Januar 2011
Die Klassikertherapie




"Will man gut über die Küche schreiben, ist die Hauptvoraussetzung ein guter Appetit", meinte der legendäre US-Journalist A. J. Liebling (1904–1963).

Ich hatte 2010 wenig Appetit auf Comics, also habe ich lieber geschwiegen.

Es war keineswegs das erste Mal, dass mein Interesse an Comics erlahmte. Aber letztes Jahr fragte ich mich zum ersten Mal ernsthaft, ob es je wieder zurückkehren würde. Denn diesmal kam so einiges zusammen: Drei meiner Lieblingsserien ("Fables", "Donjon", "Ex Machina") ließen mich inzwischen ziemlich kalt (wobei "Ex Machina", die insgesamt schwächste, immerhin zu einem guten Abschluss fand). Außer "Scalped" entdeckte ich auch keine neue Serie, die mich wirklich vom Hocker riss. Und bei den Graphic Novels suchte ich vergebens nach Offenbarungen wie "Ein neues Land" oder "Drei Schatten".

Aber das Wichtigste: Ich bin letztes Jahr 40 geworden und verspüre derzeit einfach wenig Lust, neuen Trends, Hypes und Hits hinterherzulaufen.

Nun werden einige sagen: Dann bist du aber selbst schuld an deiner Comic-Krise. Und sie haben Recht.

Aber, hey, wozu hat man sein therapeutisches Blog? Als ich zum Jahresende endlich den bereits für 2009 geplanten Adventskalender auf die Reihe bekam und dafür ein bisschen in der Geschichte des Mediums stöberte, machte mir die Neunte Kunst plötzlich wieder Spaß. Ich hatte nur vergessen, wie bunt Comics sind, selbst die schwarzweißen.

Ich will mehr davon. Nein, keinen ganzjährigen Adventskalender – ho ho ho – sondern eine schöne lange Tour quer durch Historie und Genres. Ich werde also dieses Jahr vor allem über Klassiker schreiben, und zwar speziell über jene die ich noch nie, nur teilweise, viel zu oberflächlich oder zuletzt vor 20 Jahren gelesen habe. Den Begriff "Klassiker" fasse ich dabei sehr weit: Ich meine damit Titel, die in der Fachliteratur oder auf Websites meines Vertrauens als richtungweisend genannt werden. Anders gesagt: Es geht um Comics, die mir irgendwie als "wichtig" untergekommen sind, die ich aber nicht gut genug kenne.

Außer den Werken selbst soll dabei auch das Leseerlebnis Thema sein. Was nervt an einem gefeierten Comic-Roman wie "Blankets"? Was fasziniert an Edeltrash wie "DEN"? Natürlich rede ich hier nicht von allgemeingültigen Weisheiten, sondern von meiner subjektiven Erfahrung. Peinliche Momente, an denen meine himmelschreiende Ignoranz zutage tritt, werden nicht ausbleiben und auch von vornherein in Kauf genommen.

Natürlich habe ich schon diverse Comics ins Auge gefasst, eine feste Liste werde ich aber bewusst nicht erstellen, sondern mich nach Lust und Laune entscheiden.

Nur eines steht schon fest: Den Auftakt macht Jules Feiffers Neurotikersatire "Tantrum" von 1979 – denn welcher Comic passt besser hierher?

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Dienstag, 4. Januar 2011
"Frohes Neues!"

...kann man natürlich auch wesentlich eloquenter sagen, wie Neil Gaiman 2010 bewiesen hat:



Tja, Meister, aber wenn ich jemandem ein frohes neues Jahr wünsche, dann brauch ich keinen Zettel ;-)

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Mittwoch, 1. Dezember 2010
Ihr Kinderlein, klicket!
Der comic-neurotische Adventskalender

Nach einem halben Jahr Funkstille melde ich mich nun mit einem kleinen Projekt zurück: Dieses Jahr gibt es auf der Hauptseite dieses Blogs einen selbstgebastelten Adventskalender.

[Änderung 1.1.2011: So war es bis zum 31. Dezember 2010, inzwischen findet man den comic-neurotischen Adventskalender auf dieser externen Seite.]

Hinter den Türen verbergen sich kleine Überraschungen, die irgendeinen Bezug zu Comics und größtenteils auch zu Weihnachten haben. Es gibt Stories und Trickfilme, es wird gesungen, getrunken, gebacken – und bei einigen Türchen mag man den Bezug zu Weihnachten für weit hergeholt erachten. Wobei man Letzteres auch über die Schokostückchen und Schnapsfläschlein in gewöhnlichen Adventskalendern sagen könnte.

Und damit es spannend bleibt, schalte ich jeden Tag nur ein weiteres Türchen frei.

Also viel Spaß
& frohe Weihnachten!

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Dienstag, 6. Juli 2010
Nee, nee, nee...

...was gab es da gleich wieder für böse Kommentare, als Marcel Reich-Ranicki sich in seiner jüngsten wöchentlichen Fragerunde in der FAZ nicht eben enthusiastisch über Panels und Sprechblasen äußerte.

"Sind Comics Literatur und lesen Sie selber Comics?" fragt der Leser Bernhard Wien.

Und MRR antwortet auf diese zwei Fragen gleich dreimal:

"Nein, nein, nein."

Jawohl, da packt er nicht mal die Ausrufezeichen aus, der Meister.

Und natürlich hat er recht, allerdings nur zweimal.

1. Comics sind keine Literatur, sondern eben Comics. Ein eigenes Medium und kein "Genre", wie sie einige Unbelehrbare immer noch nennen (darunter auch FAZ-Autoren).

2. Aha: Marcel Reich-Ranicki liest also keine Comics. Das ist sein gutes Recht. Trotzdem wusste er das mit dem Medium. Reee-schpekt!

Nur: Dann hätte er allerdings auch wissen können, dass dem Comic die Kunst der Reduzierung immanent ist, der Wille, sich aufs Nötigste zu beschränken. Warum also ein drittes Nein verschwenden?

Trotzdem: Danke für die Auskunft, Maître.

Und Dank auch an Bernhard Wien für die Frage. Erstens weil auch mich deren zweite Hälfte tatsächlich immer schon interessiert hat (obwohl ich mir die Antwort denken konnte) und zweitens, weil sie einen sehr guten Scherz enthält.

"Sind Comics Literatur und lesen Sie selber Comics?"

Das erinnert doch unverschämt an den Groucho-Marx-Klassiker:

"Wollen Sie mich heiraten? Hat Ihr Mann Ihnen Geld hinterlassen? Bitte beantworten Sie die zweite Frage zuerst!"

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Sonntag, 13. Juni 2010
Enttarnt: Die Graphic-Novel-Mafia!
Eine Art Nachtrag zu Erlangen 2010

© Paramount


Witze, die man erklären muss, sind bekanntlich schlecht. Dennoch erlaube ich mir, ein paar Worte zum Kontext obigen Fotos und der Fotostrecke weiter unten zu sagen. Nicht als Erklärung, sondern als eine Art "Making of Witz".

Es begann einige Tage, bevor in Franken die ersten Cosplay-Nymphen in ihre Kostümchen schlüpften, die ersten Artbook-Aficionados ihre Portemonnaies und die ersten Comiczeichner ihre Signierfilzer zückten. Obwohl ich dieses Jahr leider nicht in Erlangen dabei sein konnte, hat mir der 14. Comic-Salon (3. – 6. Juni) doch große Freude bereitet. Anlässlich der mit zwanzig Titeln bestückten Kandidatenliste für die Max-und-Moritz-Preise, darunter der neu eingeführte Publikumspreis, entbrannte im "Comicforum" eine teils intelligente, teils peinliche, in jedem Fall aber in vielerlei Hinsicht aufschlussreiche Debatte über die Anzahl und Auswahl der Nominierungen. Tenor der Unzufriedenen: zu viel Kunst, zu wenig Spaß, ein arg eingeschränktes Verlagsspektrum und einige seltsame Kandidaten (etwa der witzige, hierzulande aber kaum bekannte Zeitungsstrip "Lio"). Obwohl sechs der zwanzig Titel auf meinen eigenen Bestenlisten der Jahre 2008 und 2009 auftauchten, finde ich die Kritik insgesamt berechtigt. Diese Shortlist ist zu kurz und arg undiplomatisch.

Nun, inzwischen stehen die Gewinner längst fest, das Publikum hat einen der anspruchsvollsten Kandidaten prämiert (Ulli Lusts "Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens ") und vielleicht gibt’s beim nächsten Salon in zwei Jahren ja einfach ein paar Nominierungen obendrauf, die dann alle glücklich machen.

Schnee von gestern ist die Diskussion im "Comicforum" deshalb noch lange nicht, und sei es auch nur, weil sie der Comicszene einen neuen Begriff geschenkt hat: "Ehrlich gesagt", spottet dort nämlich Diskussionsteilnehmer Mervyn, "sieht diese [Nominierungs-]Liste aus, als wäre sie von der Graphic-Novel-Mafia zusammengestellt."

Graphic. Novel. Mafia. Che bel nome! Wenn ich jemals einen Comicladen eröffnen sollte, möge er so heißen und nicht anders!

"Ich habe es immer für ein Gerücht gehalten, dass es so was gibt", staunt selbst Comicszene- und "Comixene"-Veteran Eckart Sackmann, der die Diskussion mit einem Aufruf zum Boykott des Publikumspreises erst so richtig losgetreten hatte.

Jedenfalls: Danke, Mervyn! Und: Ja, Herr Sackmann, es gibt die Graphic-Novel-Mafia! Sehr lange schon sogar. Begeistert von der Enthüllung im Forum, habe ich in den vergangenen Tagen recherchiert und bin dabei auf erstaunliche Details über die Comic Nostra gestoßen. Seit fast hundert Jahren versuchen kunstcomic-vernarrte Gangster, den unschuldigen Lesern ihren Spaß an fliegenden Jungs in Strumpfhosen und tödlichen Amazonen in Lack und Leder zu verderben. Nur diesen seltsamen amici der Neunten Kunst ist es zu verdanken, dass es das adrette "Danger Girl" nie in den Feuilleton geschafft hat, "Die Hure H." aber schon.

Die folgende Fotostrecke bietet einen ungeschminkten, schockierenden Einblick in die Geschichte der Graphic-Novel-Mafia.

The story you are about to see is true.
Only the facts have been changed to protect the innocent.




In den 20ern versucht Al Capone in Chicago, seine Schergen an die Avantgarde der sequenziellen Kunst heranzuführen.




1939: Just aus Alcatraz entlassen, steht Capone dem Erfolg der ersten Superheldencomics fassungslos gegenüber.




1946 aus den Vereinigten Staaten nach Italien abgeschoben, trägt der Mafioso Lucky Luciano das Kunstcomic-Virus in die Alte Welt.




Der intelligente Gangster Meyer Lansky teilt seine Vision einer
"neuen" Comic-Kultur mit einem Polizisten.




Der New Yorker Pate Frank Costello sagt Anfang der 50er vor einem Komitee des US-Senats aus. Wenig später zerstört der "Comics Code" die blühende Crime- und Horror-Comicszene.




Die Polizei hat für die "versnobte" Comic Nostra nur Spott übrig.
So wie diese FBI-Beamten, die nach der Ermordung des Gangsters
Alberto Anastasia 1957 den Tatort inspizieren.


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